
Welcome to Lobsterland
- Juli 12, 2017
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Lebendfrische Hummer aus den reichen Fanggründen vor der kanadischen Atlantikküste gehören zu den gesuchtesten Meeresdelikatessen der Welt. Wir haben uns auf die Suche nach dem Geheimnis der Canadian Lobster gemacht.
Pam Wamback (43) sitzt auf dem Oberdeck der «Brown Eyed Girl» und zeigt auf ein unscheinbares kleines Häuschen am Ufer. «Dort lebt mein Bruder Rob. Er ist Hummerfischer, genau wie mein Onkel Paul, mein Cousin Corey und vor ihnen mein Grossvater Clarence. Eigentlich leben die meisten Leute entlang des South Shore bis heute vom Fischfang», erzählt Pam. Wenige Minuten später erreicht unser Ausflugsboot, das zwischen Juni und September Gäste durch die Shelburne Bay befördert, den kleinen Fischereihafen Gunning Cove. Viel Betrieb herrscht hier Anfang Juni allerdings nicht mehr. Die Lobster-Saison an der Südküste Nova Scotias ist gerade zu Ende gegangen. Sie dauert normalerweise von November bis Mai. In der Hochsaison wimmelt es in der Bucht und vor der Küste dagegen von Hummerschiffen.
Wie ihre europäischen Vettern erreichen kanadische Hummer ein Alter von bis zu 50 Jahren. Mit bis zu 20 Kilo Lebendgewicht und maximal 60 Zentimetern Länge werden sie allerdings bedeutend grösser. Die mit Bojen markierten Fallen – rund 200 bis 300 pro Fischer – werden täglich kontrolliert, trotzdem entkommen rund 94 Prozent aller Tiere, die der verführerische Duft der vermodernden Fischköder in die Fallen gelockt hat, wieder. Nur die, die nicht schnell genug sind, haben Pech gehabt. Satt am Meeresboden stapeln sich Zehntausende Hummerkäfige, die die Fischer in den letzten Tagen an Land gebracht haben, jetzt also entlang des Hafens und in den Vorgärten. Daneben liegen bergeweise kunterbunte Taue und Stricke aufgetürmt, mit denen die bis zu 300 Kilogramm schweren Fallen aus Nylon, Stahldraht oder Kunststoff an den Bojen befestigt werden.
Der Käfig, den Skipper Ken während unserer Harbour-Tour ansteuert, dient aber ohnehin nur Showzwecken. Das monströse Schalentier, das der Captain aus dem eiskalten Wasser fischt und welches schlicht zu gross ist, um sich von selbst wieder befreien zu können, hat also vorläufig Glück gehabt, denn nach einer ausgiebigen Fotosession wird es wieder in den Fluten versenkt bis zur nächsten Tour. Schonzeit eben. «Die Fischereiaufsicht hat ihre Augen überall», flüstert Ken dazu verschwörerisch. Weil Fallen auch immer wieder mal verloren gehen – etwa bei Stürmen –, haben diese an beiden Enden Notausgänge. «Diese Fluchttüren sind mit Materialien verkleidet, die sich im Meerwasser nach maximal sechs Monaten von selbst auflösen, sodass darin gefangene Hummer dann automatisch freikommen. Dank des nährstoffreichen Wassers können sie in den Fallen nämlich theoretisch bis zu 300 Tage und länger überleben», erzählt Ken.
Doch für Hummerfans besteht trotz Saisonende kein Grund, in Torschlusspanik zu verfallen: Wenn die Fischer im Süden der Atlantikprovinz Ende Mai ihre Fallen einholen, versenken ihre Kollegen im Norden sie pünktlich zum ersten Juni wieder im Ozean, denn die Fangsaison rotiert mit den Jahreszeiten um Nova Scotias und Neufundlands Küsten herum.
Trotzdem war und ist die Hummerfischerei bis heute ein hartes und gefährliches Geschäft. Fast jeder hier in der Gegend hat schon Angehörige auf See verloren. Dabei soll es vor den Küsten Nova Scotias und Neuenglands einst so viele Hummer gegeben haben, dass die Fischer nicht einmal hinausfahren oder Fallen stellen mussten, sondern die Tiere wurden von den Gezeiten an Land gespült und mussten nur noch eingesammelt werden. Viele Schalentiere landeten damals allerdings eher als Dünger auf den Feldern als im Kochtopf, galt Hummer bis mindestens Ende des 19. Jahrhunderts doch als Armeleuteessen, und man mutete ihn deshalb allenfalls Gefängnisinsassen zu.
«Auch mein Vater», erinnert sich Pam Wamback, «hat sich als Kind geschämt, wenn er mit Hummer belegte Pausenbrote von zu Hause mitbekam – in der Schule hat er dann versucht, sie gegen Peanutbutter and Jelly Sandwiches einzutauschen.» Heute ist eine Hummerlizenz dagegen so einträglich, dass sie beim Verkauf mehrere Hunderttausend Dollar einbringt, wird aber normalerweise von Generation zu Generation weitervererbt. Und so begegnen Touristen dem Lobster in Nova Scotia auch abseits der Küste praktisch auf Schritt und Tritt.
Nicht nur gekocht, gedämpft, vom Grill, als Frikassee, Burger, Lobstercake, Bisque, Salat oder Topping für Macaroni and Cheese, sondern auch als Maskottchen, das Socken und Sneakers, Einkaufstüten und Kaffeetassen, T-Shirts und Babylätzchen schmückt – selbst der USB-Stick des lokalen Tourismusbüros steckt in einem knallroten Gummihummer.
Im Sommer gibt es die bei Einheimischen wie Touristen beliebten Lobster Rolls – pampige Brötchen belegt mit Salat, Gurke, Tomate und mit reichlich Mayonnaise angemachtem Hummersalat – sogar bei McDonaldʼs. «Obwohl kein Local jemals auf die Idee käme, dort ein Hummersandwich zu bestellen», lacht Pam, «die machen das nur für die Touristen.» Und so fotografieren auch wir ungläubig unser McLobster-Sandwich vor der Resopal-Kulisse einer beliebigen Filiale des Fastfood-Giganten irgendwo an einer belebten Hauptstrasse in Nova Scotias Provinzhauptstadt Halifax.
Die Hummerpreise sind dank steigender Bestände im Vergleich zu Europa seit Jahren moderat. Ja, manche Experten vertreten gar die These, dass es gerade die starke Nachfrage nach «Lobster made in Canada» sei, die die Hummerpopulation in Nova Scotias und Neuenglands Gewässern geradezu exponentiell anschwellen lässt. Schliesslich werden zusammen mit den Hummerfallen tagtäglich gewaltige Mengen Futter im Meer versenkt, und aufgrund des Klimawandels wird das Küstenwasser immer wärmer – den Hummern geht es also prächtig. Ein Tier mit etwa zwei Pfund Lebendgewicht – laut Pam die optimale Grösse – gibt es in manchen Restaurants inklusive Beilagen schon für 25 kanadische Dollar (17 Euro). Davon können Seafood-Fans hierzulande nur träumen.
Einer der schönsten Orte, um sich eines der delikaten Krustentiere stilecht einzuverleiben, ist Hallʼs Harbour Lobster Pound an der weltberühmten Bay of Fundy. Während der Flut strömen hier innerhalb von dreieinhalb Stunden unglaubliche 50 Milliarden Tonnen Meerwasser in die sich verengende Bucht und verursachen den mit bis zu 16,40 Metern höchsten Tidenhub der Welt. Direkt am Rande eines kleinen Hafens gelegen, kommen Besucher bis aus Halifax hierher, um sich aus einem der Meerwasserbassins ihren ganz persönlichen maritimen Leckerbissen auszusuchen. Abgerechnet wird nach Gewicht. Das Schalentier bekommt man nach dem Bezahlen in die Hand gedrückt und trägt es persönlich zum Cooking Shack, wo es dann binnen Sekunden in einem brodelnden Kessel sein Leben aushaucht. Was manchem Beobachter brutal oder grausam erscheinen mag, ist für den Hummer selbst praktisch schmerzlos. Rund 25 Minuten später wird der in der Küche vorgeknackte Panzer samt seines delikaten Innenlebens schliesslich im hauseigenen Restaurant aufgetischt. Geschützt von einem dünnen Plastiklatz geht es dann zur Sache.
Ob das beste Fleisch nun im Schwanz, in den Scheren oder den Beinen sitzt, ist Geschmackssache. Unser Guide Pam erweist sich bei unserem Lobsterlunch jedenfalls als Puristin – sie verzichtet sogar darauf, die Hummerstückchen in die geschmolzene Butter zu tunken. Zu den Schalentieren passen die lokalen Weissweine – vor allem die aus der Appellation Tidal Bay.
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- Der Hummer als König der Krustentiere spielt eine wichtige Rolle in der Fischindustrie und der Wirtschaft in Nova Scotia. Foto: Thomas Hauer
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- Am Ende der Fangsaison werden Zehntausende Hummerkäfige an Land gebracht und für das nächste Jahr eingemottet. Foto: Thomas Hauer
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- Nicht nur Hummer ist ein wichtiges Standbein der Fischindustrie, sondern auch Kabeljau und Scallops. Foto: Thomas Hauer