
Smørrebrød, Smørrebrød, røm pøm pøm pøm – Renaissance eines dänischen Klassikers
- Dezember 3, 2013
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Mein erster Kontakt mit der dänischen Küche fand Ende der 70er-Jahre statt. Damals, noch ein kleiner Junge, sass ich jeden Sonntagnachmittag gebannt vor der Flimmerkiste und wartete sehnsüchtig auf den Beginn meiner Lieblingssendung: der Muppet Show.
Neben Fozzi, dem Bären, liebte ich vor allem den Danish Chef – im amerikanischen Original übrigens ein Schwede. Jedenfalls handelte es sich um einen ziemlich zerstreuten Herrn mit gewaltigem Schnauzbart und buschigen Augenbrauen. In seiner schneeweissen Kochuniform, geschmückt mit einer rosa Fliege, praktizierte er meinen damaligen Traumberuf auf recht unkonventionelle Weise. Und noch heute erinnere ich mich an einige seiner verwegenen Rezeptideen – z. B. Eichhörncheneintopf.
Das Geheimnis des dänischen Nationalgerichts
Am meisten aber trieb mich die Frage um, was es mit der ominösen Formel «Smørrebrød, Smørrebrød, røm pøm pøm pøm» auf sich haben mochte, mit der der Chef seine Zuschauer in jeder Folge begrüsste. Meine Mutter meinte, bei dem Smørrebrød müsse es sich wohl um eine Art Knäckebrot handeln, an dem die da oben doch tagein tagaus herumknabbern würden, wenn sie nicht gerade Hering assen, wie sie felsenfest überzeugt war. Mein kindlicher Einwand, dass Knäckebrot doch wohl eher aus Schweden stamme, wurde von ihr achselzuckend zur Seite gefegt und das Rätsel blieb erst einmal ungelöst. Heute, 35 Jahre später, bin ich dank der Lektüre diverser Klassiker zwar mit den theoretischen Grundlagen eines dänischen Butterbrots – so die eigentliche Wortbedeutung, smør og brød (Brot und Butter), – vertraut. Da ich aber bisher noch nie einen Fuss in das stolze Königreich Hamlets gesetzt hatte, liess die Praxis arg zu wünschen übrig. Also machte ich mich nach Kopenhagen auf, um dort dem Geheimnis des dänischen Nationalgerichts, das seit einigen Jahren eine echte Renaissance erlebt, auf den Grund zu gehen.
«Knäck» den Promi
Ungekrönte Königin des klassischen Smørrebrød ist Ida Davidsen. Ihre Familie ist schon seit mehr als 125 Jahren eine feste Grösse im Butterbrotgeschäft. Begonnen hat alles mit einer kleinen Weinstube im Stadtteil Nørrebro, die Idas Urgrossvater Oskar gleich neben seiner Weinhandlung eröffnete. Bekamen seine Gäste nach ein paar Gläschen Rebensaft langsam Appetit, begann seine Frau Petra, im Hinterzimmer zu werkeln, und erschien alsbald mit einer Platte frisch belegter Brote: Die Geburtsstunde eines Mythos, denn schnell verbreitete sich die Kunde vom Smørrebrød – im Jahre 1888 offenbar eine ähnlich umwälzende Gastrorevolution, wie die New Nordic Cuisine unserer Tage – im ganzen Land.
In Idas Restaurant, das heute in der geschäftigen Store Kongensgade liegt, sind insgesamt mehr als 250 verschiedene Variationen der kunstvoll belegten Happen im täglich wechselnden Angebot. Das Restaurant hat es sogar ins Guinnessbuch der Rekorde geschafft, denn das komplette Smørrebrødmenü bringt es auf die stattliche Länge von 1,4 Metern, die längste Speisekarte der Welt. Neben den Klassikern – dazu später mehr – hat sich Ida auf Promi-Smørrebrød spezialisiert. Kaum ein mehr oder weniger bekannter dänischer Zeitgenosse, für den sie kein passendes Rezept kreiert hat. Wer also z. B. schon immer einmal von Kronprinz Frederik naschen wollte, kommt bei Ida voll auf seine Kosten – im übertragenen Sinne versteht sich. Besonders lecker: Das Ritt Bjerregaard, benannt nach der ehemaligen Oberbürgermeisterin Kopenhagens, garniert mit geräucherter Lammkeule, Rührei und frischen Kräutern. Himmlisch!
Von traditionell bis experimentell
Nun ist das mit dem traditionellen und bisweilen recht rustikalen Smørrebrød, wie es bei Ida Davidsen in gläsernen Vitrinen essbaren Juwelen gleich präsentiert wird, so eine Sache, denn das ist trotz allem nicht einfach nur ein beliebig belegtes Brot. Vielmehr gibt es einige Grundregeln zu beachten: Puristen schwören auf saftiges, kompaktes Roggenvollkornbrot, das in dieser Qualität nur in Dänemark gebacken wird. Es gibt aber auch Varianten auf Basis von Grau- oder Weissbrot. Ohne Butter – alternativ auch mit Gänse- oder Schweineschmalz – wäre ein Smørrebrød aber definitiv kein Smørrebrød.
Als Belag des bei den Dänen vor allem als gehaltvoller Mittagssnack verzehrten Klassikers kommt dagegen alles in Betracht, was Kühlschrank und Speisekammer hergeben: kalter Braten, Schinken, Tatar oder Roastbeef, Leberpastete, Speck, diverse Käse, Hering (mariniert in Sherry, Dill oder Curry, geräuchert, als Rollmops, in Aspik oder Salat), Räucheraal, Lachs, Backfisch und Krabben, Ei (roh, gekocht oder gebraten), eingelegtes Gemüse, Kartoffeln, saure Gurken und Pickles, Zwiebeln, Salat und frische Kräuter, Mayonnaise, Meerrettich und Remoulade … Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. Aber es gibt eben auch einige Traditionsrezepte mit bisweilen reichlich seltsam anmutenden Namen, die nach genau vorgeschriebenen Zutaten verlangen, z. B. das Sol over Gudhjem (Sonne über Gudhejm), belegt mit geräuchertem Hering, Zwiebeln und / oder Schnittlauch, klein geschnittenen Radieschen, gekrönt von einem rohem Eigelb. Ebenfalls oft im Angebot: Stjerneskud, die Sternschnuppe, mit einer Kombination von gedünstetem und gebackenem Fischfilet, Krabben, Mayonnaise, rotem Kaviar und Zitronenschnitz. Hartgesottene sollten Dyrlægens natmad probieren, was soviel wie Nachtmahl des Veterinärs bedeutet, das mit Leberpastete, Cornedbeef (Saltkød), Aspik (Sky), Zwiebelringen und Kresse daherkommt. Aber alle haben eines gemeinsam: Zubereitet mit frischesten Zutaten schmecken sie einfach köstlich und ersetzen mühelos eine komplette Mahlzeit.
Die Rückkehr der Götterspeise
Dabei wäre das Smørrebrød in den letzten Jahren beinahe in Vergessenheit geraten. Erst auf der Erfolgswelle der New Nordic Cuisine kam diese Götterspeise wieder in Mode und überall spriessen seitdem die Smørrebrødbars wie Pilze aus dem Boden. Übrigens erfordert der Lehrberuf der Smørrebrødsjomfru, der Butterbrotjungfer, die für die fachgerechte Zubereitung der kleinen Brotkunstwerke zuständig ist, eine dreijährige Ausbildung!
Während man ein Smørrebrød als Pausensnack natürlich auch aus der Hand verzehren kann (Håndmad), greift man im festlichen Rahmen oder Restaurant meist zu Messer und Gabel – zumal auf manchen Exemplaren der Belag so hoch aufgetürmt ist, dass händisches Essen beinahe unmöglich ist, ohne eine Sauerei zu veranstalten. In vielen Etablissements bekommen die Gäste die Zutaten für das Smørrebrød aber auch separat zum Brot serviert und jeder kann sein Exemplar ganz nach den persönlichen Vorlieben selbst am Tisch zubereiten.
Eine weitere Kopenhagener Top-Adresse für Smørrebrød-Fans ist nach einhelliger Meinung der Einheimischen das Restaurant Schønnemann am Hauser Plads, das ebenfalls auf eine bis ins späte 19. Jahrhundert reichende Geschichte zurückblicken kann. Es hat, wie das Restaurant von Ida Davidsen, nur zur Lunchzeit von etwa 11.30 bis 17.00 Uhr geöffnet.
Hier interpretiert man das Thema Smørrebrød und seine diversen Variationen etwas freier und entschlackter als bei der Konkurrenz, wenngleich nicht weniger virtuos. Dazu sind mehr als 90 Sorten Schnaps, Aquavit und Genever im Angebot. Am besten lässt man sich vom freundlichen Service bei der Auswahl unter die Arme greifen. Ohne Reservierung geht hier allerdings meist nichts.
Eine nicht nur geschmacklich, sondern auch optisch besonders ansprechende Version der dänischen Kultspeise serviert dagegen das Royal Smushi Café im Hinterhof des Flagship-Stores von Kopenhagens berühmter Porzellanmanufaktur Royal Copenhagen. Die lautmalerische Ähnlichkeit zum japanischen Sushi ist gewollt, erwarten Gäste hier doch mundgerecht zurecht geschrumpfte Smørrebrødhäppchen, die auf edelstem Tafelgeschirr und in ausgesprochen schickem Ambiente serviert werden. Eine Adresse zum Sehen und gesehen werden.
Mein absoluter Smørrebrød-Favorit in Kopenhagen ist aber Adam Aamanns. Der smarte Chef hat das Butterbrot in seinem mit typisch skandinavischer Zurückhaltung eingerichteten Nobelimbiss in der Øster Farimagsgade zur wahren Kunstform entwickelt und mittlerweile sogar einen Ableger seiner Deli im Big Apple eröffnet. Nicht verpassen sollte man seine New Classics mit pikant eingemachtem Hering, in Dill Vinaigrette gekochten Kartoffeln, Kapern, Senfsaat und roten Zwiebeln oder das mit Jersey Beef-Tatar, Knusperzwiebeln, hausgemachter Remoulade und frisch geriebenem Meerrettich. Zu diesen Leckerbissen, die es auch in schicken Take-away-Schachteln zum Mitnehmen gibt, empfiehlt sich – ganz klassisch – ein kühles Bier, das im Aamanns aus diversen Microbreweries stammt. Gleich nebenan betreibt der umtriebige Wikingernachfahre ausserdem noch ein kleines, feines Bistro im New Nordic Style.
Im dänischen Kochhimmel
Apropos New Nordic: Natürlich ist Kopenhagen nicht nur Welthauptstadt des Smørrebrød, sondern mit aktuell 15 Michelin-Sternen verteilt auf 13 Restaurants auch die höchstdekorierte Gastrokapitale Skandinaviens. Das haben die Hauptstädter vor allem Claus Meyer und René Redzepi vom Kultrestaurant Noma zu verdanken, die mit einem 2004 auf ihre Initiative hin gemeinsam mit Chefs und Food-Experten aus ganz Skandinavien formulierten Manifest der New Nordic Cuisine, der neben der Molekularküche vielleicht bedeutendsten gastronomischen Bewegung des 21. Jahrhunderts, angestossen haben. Die Idee: In den Gerichten soll durch die verwendeten Produkte eine Region im wahrsten Sinne «schmeckbar» gemacht werden, d. h. ihr besonders Mikroklima, ihre Topografie, ihre Böden, die Kultur und Traditionen ihrer Menschen zum Klingen gebracht werden. Wenn man so will also die Übertragung des Terroirgedankens vom Weinberg auf Acker und Gemüsegarten bzw. vom Keller in die Restaurantküche. Das klingt zehn Jahre später im Zeichen einer europaweit wieder erstarkten Regionalküche wie die natürlichste Sache der Welt, war damals aber tatsächlich revolutionär. Neben dem Noma als Leitstern der Bewegung und seinen ebenfalls besternten Spin-offs wie Geranium oder Relæ – übrigens das einzige Sternerestaurant weltweit, in dem zu 100 % mit Biozutaten gekocht wird – bietet Dänemarks Hauptstadt noch Dutzende weitere kulinarische Hot-Spots, die sich diesem Prinzip verschrieben haben.
Die Stippvisite im hohen Norden lohnt aber nicht nur wegen der quicklebendigen Gastroszene: Kopenhagen lockt Besucher auch mit seinen herrlichen Parks, bedeutenden Kunsttempeln wie dem Thorvaldsen Museum oder der weltbekannten Glyptothek und einer Design-, Shopping- und Fashionszene, die die Stadt mittlerweile zur am schnellsten wachsenden Tourismusmetropole unter Europas Hauptstätten gemacht hat.