
Lehrjahre der Itamae: Der lange Weg zum Sushi-Meister
- Januar 14, 2017
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Die japanische Kultur lebt von der Ethik der Perfektion. Jede Handlung, jedes Hobby, jeder Bereich des Lebens wird durch diese Hintergrundschwingung beeinflusst. Kein Wunder, dass im Land der aufgehenden Sonne das Sprichwort «Man lernt ein Leben lang» eine weitreichendere Bedeutung erlangt. Das gilt auch bei der Ausbildung zum Sushi-Koch. In Europa wird gerne mit Ausbildungen von zwei Jahren geworben, doch klassischerweise braucht es bis zu 15 Jahre, bis man Sushiya oder gar Itamae wird. Itamae ist der, «der hinter dem Brett steht», und der prestigeträchtigste Titel eines Sushi-Meisters. Er arbeitet mit zehn Messern, mit denen er Fische zerteilt und Gemüse verarbeitet hinter der zentralen Theke in einem Sushi-ya Sushi, dem klassischen Sushi-Restaurant, in dem an Tischen Platz genommen wird. Ein Sushiya arbeitet mit nur drei Messern. Zu den Aufgaben der Meister gehört neben dem Zubereiten auch das Unterhalten der Gäste.
Der Weg zum Itamae
Frauen ist der Weg zum Sushi-Koch verwehrt: Zum einen sollen ihre Hände wärmer als die von Männern sein und zum anderen, so sagen alte Meister, haben sie in ihrer Periode einen anderen Geschmack. In Japan gilt Kochen als Kunst und so gilt die klassische Ausbildungsweise für Künste auch für Sushi-Meister. Nach dem Prinzip «nusumu no gei» lernt man durch Beobachtung und nicht durch Anleitung. Das hat früher dazu geführt, dass der Lernende im ersten Jahr der Ausbildung vor allem beobachtet hat. Ausser den Boden zu wischen, hatte er keine praktischen Aufgaben. «Nusumu no gei» bedeutet bei diesem Tempo, dass die Ausbildung in der Jugend beginnt, damit die Arbeit zum Lebensmittelpunkt werden kann und die Chance besteht, dabei die Perfektion zu erreichen. Daneben soll die langsame Herangehensweise den gebührenden Respekt vermitteln: dem Menschen, dem Material und dem Produkt gegenüber.
Heutzutage lernen Auszubildende in den ersten Jahren in Japan Messer schleifen. Erst später lernen sie den Reis richtig zu waschen. Dabei werden auch beschädigte Reiskörner aussortiert, damit nur die perfekten Körner zu Sushi werden. Denn auch wenn man in Europa Sushi mit rohem Fisch in Verbindung bringt, so ist es doch der Reis, der Sushi ausmacht. In hochklassigem Sushi wird heute vor allem Koshihikari-Reis verwendet. Seine Körner sind rund und die Reiskörner sind relativ fest. Nach dem Waschen und Garen wird der Reis im Hangiri, einem Holzgefäss, mit einer Würzmischung (Sushi-zu) aus Reisessig, Salz und Zucker oder Mirin mit einem Holzlöffel kunstvoll durchmischt und dabei mit einem runden Fächer, einem Uchiwa, gekühlt. Die Gewürzmischung und die Qualität und die Verarbeitung des Reises machen ein Sushi zu einem unvergleichlichen Genusserlebnis.
Schritt für Schritt zur Meisterschaft
Der weitere Schritt auf dem Weg zum Sushi-Meister verläuft über das Bedienen von Gästen, über das Zuarbeiten wie das Waschen, Entschuppen und das Zerteilen von Fischen bis zum eigenen Sushi. Der beste Sushi-Koch der Welt hatte in den ersten drei Jahren keinen einzigen Fisch berührt. Früher bekam der Auszubildende einen Arbeitsplatz in einer Ecke des Lokals, so weit vom Meister entfernt wie möglich. Mit der Zeit bekam er weitere Aufgaben und durfte seinen Arbeitsplatz Stück für Stück an den Tisch des Meisters annähern, der hinter der Theke arbeitete und die Fortschritte des Lehrlings mit Argusaugen beobachtete. Heute macht man nach zehn Jahren das Staatsexamen zum Sushi-Meister.
Frische Fische
Der wertvollste Bestandteil des Sushis ist der Fisch, auch wenn es Sushi mit Gemüse gibt. Das heute noch bekannte Nigri-Sushi entwickelte sich im Edo des 18. Jahrhunderts, wo sich eine kaufkräftige Gesellschaftsschicht gebildet hatte. Im Hafenviertel wurde zu den frischen Fischen Reis angeboten. Ursprünglich entwickelte sich der Vorläufer aus einer Konservierungsmethode des asiatischen Festlands. Süsswasserfische wurden in Reis eingelegt und fermentierten darin. In der Präfektur Shiga gibt es noch heute die Spezialität Funazushi, die nach diesem Prinzip hergestellt wird. Noch heute macht der Fisch das Sushi aus. In Tokio liegt der Tsukiji-Markt, der grösste Fischmarkt der Welt. Hier werden noch bis zum 7. November 2016 vor dem Morgengrauen diejenigen Fische verkauft, die bald darauf zu Sushi werden. In den Hallen von 1935 herrscht zu den Verkaufszeiten ein unübersichtliches Gewimmel. Der erste Markt an dieser Stelle reicht ins 16. Jahrhundert zurück, als Shogun Tokugawa Ieyasu Fischer aus Ōsaka in Edo ansiedelte, um seinen Hof mit Fisch zu versorgen. Der alte Markt wurde bei einem Erdbeben zerstört. Händler präsentieren ihre Thunfische vor den Auktionen, Elektrowagen und Lastwagen bringen und holen Fische und dazwischen bewegen sich Menschen auf Fahrrädern von A nach B und dazwischen wandern Touristen mit Kameras hin und her. Der Grossteil der Hallen wird von kleinen Fischhändlern bzw. den Gemüse- und Obsthändlern eingenommen. Täglich werden 1800 Tonnen Fisch von 480 Arten verkauft und circa 1160 Tonnen Früchte und Gemüse.
Biss für Biss Genuss
Im Hafenviertel neben der Markthalle liegen Sushi-Restaurants. Das «Sushi Dai» fasst 13 Gäste und die Schlange derjenigen, die hinein wollen, reicht oft bis zum nächsten Block. Es ist auch hier üblich, jeden Gast mit einem lauten Jubelruf zu begrüssen, bevor man sich seinem leiblichen Wohl widmet. Spätestens nach dem Eintreten merkt man, dass ein Sushi und ein Sushi-ya, ein klassisches Sushi-Restaurant, nichts mit dem Fast-Food-Appeal zu tun hat, der sich im Westen seit den 1980er Jahren ausgebreitet hat. Zwar gibt es in Japan die Kaiten-Zushi-Restaurants, in denen Sushis auf Fliessbändern durch das Lokal ziehen, doch selbst dieses Sushi ist kein Fast Food. Spätestens mit dem ersten Bissen wird das bewusst. Saito-san hat für sein «Sushi Saito» in Tokio 2009 seinen dritten Stern bekommen. In seinem kleinen Lokal haben nur sieben Gäste Platz, für die er vor ihren Augen den Fisch zubereitet. Dabei kommt es, so der Meisterkoch, nicht auf die Frische des Fisches an. Viel wichtiger ist die Temperatur von Reis und Fisch. Nur Meeresfrüchte und Schalentiere sollten so frisch wie möglich verarbeitet werden.
Mit den Händen
Wer so viel Zeit und Leidenschaft in die Sushi-Zubereitung gesteckt hat, der hat bei jedem Bissen Respekt verdient. In Japan isst man das Sushi mit der Hand und der Itamae würzt dem Kunden jedes Sushi zur Perfektion. Hier wird etwas Limonensaft mit einem Pinsel aufgetragen, da ein feuriger Hauch von Wasabi über die feinen Aromen gelegt. Falls überhaupt Sojasosse zum Sushi passt, ist die Sosse meist nach eigenem Rezept angerührt, um ein ausgeglichen-mildes Aromenspiel zu bieten. Beim Würzen mit Sojasossen wird in Japan aber nur der Fisch eingetaucht und keinesfalls der Reis mit der rehbraunen Sosse getränkt. Der Beruf eines Itamae geht weiter als die reine Zubereitung. Seine Kunst lebt auch von dem Showeffekt, wie er meisterhaft die feinen Stücke aus dem Fisch schneidet und das Sushi anrichtet und nebenbei dem interessierten Gast das eine oder andere erklärt.