
Land of the living Skies
- Oktober 27, 2017
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30 000 Einwohner auf einer Fläche fast so gross wie die Bundesrepublik – der Norden der zentralkanadischen Provinz Saskatchewan zwischen Manitoba im Osten und Alberta im Westen gehört zu den am dünnsten besiedelten Flecken der Welt. Doch mehr als 100 000 kristallklare Seen, endlose Wälder und einige der schönsten Nationalparks des Landes locken Jahr für Jahr wagemutige Outdoorfans aus der ganzen Welt hierher – willkommen im Land of the Living Skies!
Seinen Spitznamen führt Saskatchewan nicht von ungefähr. An kaum einer anderen Stelle des Globus dehnt sich der Himmel weiter, türmen sich die Wolkengebirge dramatischer, wird einem beim Blick auf den Horizont bewusster, dass die Erde keine Scheibe ist, als in den endlosen Ebenen der Great Plains. Ein Reiseziel für Individualisten, denn jenseits seiner dramatischen Naturschönheiten bleibt Saskatchewan ein Land der Extreme. So fallen die Temperaturen aufgrund des ausgeprägten Kontinentalklimas im Winter teilweise auf unter –40º Celsius. Im konstant wehenden Nordwind, der durch keinen Gebirgskamm gebremst wird, liegt die gefühlte Temperatur sogar oft noch deutlich darunter. Im kurzen, aber heissen Sommer kann die Quecksilbersäule dagegen auf mehr als 40 Grad klettern. Dann wüten oft auch ausgedehnte Wald- und Präriebrände, die aber unverzichtbar sind, um die Vegetation zu erneuern.
Heute haben rund 14 Prozent der gerade mal knapp eine Million Einwohner Saskatchewans ihre Wurzeln in einem der indigenen Stämme der First Nations, wie «Indianer» in Kanada offiziell genannt werden, um den politisch aufgeladenen Terminus elegant zu umgehen. Mehr als in jeder anderen kanadischen Provinz. So gibt es heute mehr als 600 Reservate, die meisten davon für Mitglieder der in Nordamerika ethnisch grössten First-Nation-Gruppe, den Cree, dicht gefolgt von den Dakota. Von der Cree-Sprache leitet sich auch der Name der Provinz ab: Kisiskatchewani Sipi – schnell fliessender Fluss.
Sind der Süden und die Mitte Saskatchewans von Weizenfeldern, deren wogende Ähren im Wind wie die Oberfläche eines uferlosen Ozeans wirken, und ausgedehntem Grasland geprägt, ist der Norden fast komplett von borealer Waldtundra bedeckt. Hier bestimmen Birken, Pappeln, Lärchen und Kiefern das Bild. Dazwischen leben Schwarzbären, Elche und Wapitis, während über Flüssen und Seen, die Biber mit ihren gewaltigen Wasserburgen anstauen, majestätisch Weikopfseeadler kreisen.
Führt der Weg von Süden hier hinauf zunächst über einen der wenigen asphaltierten Highways, verwandeln sich diese nach und nach in unbefestigte Schotterpisten, aber selbst die verlieren sich ein paar Hundert Kilometer weiter nördlich einfach im Nirgendwo. Das einzige Fortbewegungsmittel, um ab hier noch weitere Strecken zu überbrücken, ist das Floatplane – das Wasserflugzeug. Einer der wagemutigen Piloten, die mit ihren Maschinen in den Sommermonaten hier heraufkommen, ist Ron Striker. Der befördert seine Kunden in einer einmotorigen Otter auf Wunsch selbst in die entlegensten Winkel und managed nebenbei noch eine kleine Lodge in Missinipi an den Ufern des Otter Lake. Abgesehen von der kurzen Saison zwischen Mitte Juni und Mitte September leben in dem gottverlassenen Nest, das aus nicht mehr als ein paar Blockhäusern, Bootsschuppen und einem Kolonialwarenladen besteht, der von der Biberfalle bis zu Marshmallows alles im Angebot hat, was man hier draussen zum Überleben braucht, gerade mal ein gutes Dutzend Menschen. Im Sommer schwillt der Ort dann auf rund 300 Einwohner an. Die meisten von ihnen Saisonarbeiter, die die Schotterpisten ausbessern. Der Rest sind Touristen. Darunter zahlreiche Angler, sind die umliegenden Seen doch randvoll mit Walleye und Northern Pike, sodass selbst ein Greenhorn nur fünf Minuten einen Angelhaken ins Wasser zu tauchen braucht, bevor das erste Prachtexemplar anbeisst. Zu Strikers Gästen gehören aber auch Kanuten, die sich von dem braun gebrannten Endvierziger zu abgelegenen Fliessgewässern fliegen lassen, gelten die Gewässer des Churchill River doch als eines der besten Paddelreviere des Planeten. Dazu werden Boote, Paddel und Proviant einfach an den Kufen des Wasserflugzeugs festgeschnallt, während bis zu drei Passagiere im Inneren der fliegenden Aluminiumkiste Platz finden. Allerdings war Striker nicht immer Pilot. «17 Jahre habe ich im Lebensmitteleinzelhandel Regale eingeräumt. Dann hatte ich die Nase voll und habe den Pilotenschein gemacht – der Start in ein neues Leben», erzählt Ron nach einem Rundflug über die tosenden Nistowiak Falls bei einer Tasse Kaffee. «Ab und zu nehme ich auch meine elfjährige Tochter mit ins Cockpit – auch wenn sie offiziell natürlich noch keinen Pilotenschein hat: Sie könnte das Flugzeug problemlos starten und landen», erzählt Striker nicht ohne Stolz.
Anders als noch vor wenigen Jahren ist der Job als Pilot eines Floatplanes heute – für kanadische Verhältnisse – vergleichsweise gut bezahlt. Denn Ron fliegt nicht nur Touristen, sondern transportiert auch wichtige Versorgungsgüter und Arbeiter zu den abgelegenen Gold- und Uranminen Saskatchewans, die nochmal bis zu 500 Kilometer weiter im Norden liegen. Während der Buschfeuersaison sitzt er aber auch schon mal im Cockpit eines Löschflugzeugs. «Die grösste Herausforderung für einen Piloten hier draussen ist die Navigation», weiss Ron, «wenn das GPS mal ausfällt, gibt es kaum einen Anhaltspunkt, um sich zu orientieren. Da hilft nur, solange in Richtung des nächsten Highways zu fliegen, bis man die Piste erreicht und dann an der Strasse entlang, bis man vertrautes Terrain erkennt. Wenn einem dabei das Benzin ausgeht, kann man ja jederzeit auf einem der Seen landen.» Klingt beruhigend. Zahlreiche Passagiere bekommt Ron auch von den ebenfalls in Missinipi ansässigen Churchill Canue Outfitters vermittelt. Deren Boss Ric Driediger gilt in der Kanutenszene als lebende Legende und ist seit mittlerweile mehr als 40 Jahren im Geschäft. 1973 kam der damals 19-Jährige, der wie rund 30 Prozent der Locals deutschsprachige Vorfahren hat, zum ersten Mal in die abgelegene Wildnis des Churchillriver und machte sich nach einigen Jahren als Kanuguide selbstständig. Heute betreuen er und sein Team Kanuten aus der ganzen Welt, darunter zahlreiche Stammkunden, die teilweise bereits seit 20 Jahren nach Missinipi kommen. Zum All-inclusive-Package gehört notwendiges Gerät, Proviant und detailliertes Kartenmaterial, das Rics Sohn Dan, der auf bestem Wege ist, in die Fussstapfen seines Vaters zu treten, selbst erstellt. Ein erfahrener Guide fährt auf Wunsch ebenfalls mit – gerade für Anfänger unverzichtbar. Klar, dass Ric auch seine Frau Theresa vor vielen Jahren auf einem Kanutrip kennengelernt hat. «Mittlerweile habe ich sicher mehr als 500 Touren begleitet. Je nachdem wie abenteuerlustig unsere Gäste sind, können wir Kanurouten zusammenstellen, die man in sechs Stunden bewältigen kann oder bei denen man sechs Wochen keiner Menschenseele begegnet», erzählt Ric. Denn: Schon wenige Minuten von Missinipi entfernt verabschiedet sich das Mobilfunknetz ins Nirwana. Ohne Satellitentelefon ist man hier sprichwörtlich von der Aussenwelt abgeschnitten. Deshalb halten die Floatplane-Piloten auch mit Argusaugen Ausschau nach in Not geratenen Anglern oder Wassersportlern. Schwenkt man die Arme über Kreuz, ist das ein klares Notsignal und der Pilot wird versuchen, in der Nähe zu landen. «Das ist nichts für jedermann», erzählt Ric schmunzelnd.
Seine heutigen Gäste begnügen sich mit einer Halbtagestour auf dem nahegelegenen Devil Lake. Die zahlreichen Stromschnellen und kleineren Wasserfälle werden dabei auf dem Landweg passiert – dazu müssen die rund 30 Kilo schweren Kanus aus dem Wasser gewuchtet und auf den Schultern durch den dichten Wald geschleppt werden, bis der Fluss wieder passierbar ist, umschwirrt von geschätzt einer Million Stechmücken. Portage nennt man das reichlich verharmlosend, und zum Glück übernehmen die Guides den Knochenjob. Und so geht es an diesem Vormittag zunächst einmal quer über den See, vorbei an Staircase Falls und Mosquito Rapids bis zu den Three Sister Stromschnellen, die selbst Anfänger auf dem Wasser passieren können. Am Blueberry Point steht noch ein kurzer Fotostopp auf dem Programm, und wie der Name verheisst, braucht man hier nur in die Knie zu gehen, um sich den Bauch mit aromatischen Wildheidelbeeren vollzustopfen – die gehören im Herbst übrigens auch zur Leibspeise der Schwarzbären, die bis zu 25 Kilo der dunkelhäutigen Delikatesse pro Tag verputzen. Doch auch bei dieser Tour ist der Himmel die vielleicht faszinierendste Sehenswürdigkeit, ändern sich doch das Wetter und damit Licht und Stimmung im Minutentakt. Findet sich eben noch kein einziges Wölkchen am strahlend blauen Himmel, ziehen plötzlich in rasendem Tempo gewaltige Wolkentürme auf und nur 30 Minuten später entlädt sich ein heftiges Gewitter begleitet von aggressiven Sturmböen, bis ein Doppelregenbogen am Horizont erscheint. Binnen weniger Minuten ist der Himmel dann wieder klar, so als wäre nicht gerade fast die Welt untergegangen. Natur in ihrer ursprünglichsten Form.
Auf dem knapp 500 Kilometer langen Weg zurück in die Zivilisation lohnt ein Stopp im Prince Albert Nationalpark, der mit ausgedehnten Bike-Trails, Badeseen, Westernreiten, Planwagentouren oder Ziplining-Adventures lockt, sowie im Wanuskewin Heritage Park vor den Toren von Saskatoon – mit rund 220 000 Einwohnern Saskatchewans grösster Stadt. Schon vor mehr als 6000 Jahren bis zu ihrer Vertreibung Mitte des 19. Jahrhunderts siedelten hier Kanadas Ureinwohner in einem kleinen Tal, das Schutz vor den eisigen Winterwinden bot und das zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt werden soll. Wer mag, kann hier stilecht im Tipi übernachten und Bisonspezialitäten probieren. Saskatoon selbst hat sich in den letzten Jahren zu einer Art Mini Silicon Valley entwickelt, und das Alter seiner Einwohner liegt weit unter dem Landesdurchschnitt. So präsentiert sich die Prairiemetropole als lifestyliges Pendant zur eher biederen Provinzkapitale Regina, als Zentrum von Kunst und Kultur inmitten der Great Plains. So eröffnet mit dem Remai Modern im Herbst 2018 auch ein neues Museum für moderne und zeitgenössische Kunst von Weltformat. Gleichzeitig lockt Saskatoon, das 1883 ausgerechnet von einem Ableger der Temperance Colonization Society, einer Abstinenzlerbewegung aus Ontario, gegründet wurde, mit einer lebendigen Livemusik-, Bar- und Kneipenszene. Mit dem Ayden, dem Little Grouse on the Prairie und Sticks and Stones, allesamt Babys von Top-Chef-Kanada-Gewinner Dale Mac Kay hat Saskatoon ausserdem einige der besten Restaurants im Wilden Westen Kanadas zu bieten. Worauf warten Sie noch?
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- Wasserflugzeug beim Landeanflug – im hohen Norden oft das einzige Fortbewegungsmittel. Foto: Tourism Saskatchewan / Greg Huszar Photography
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- Am Waskesiu Lake im Prince Albert National Park. Foto: Tourism Saskatchewan / Greg Huszar Photography
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- Gemütliche Bootstour auf einem der zahllosen Seen im Prince Albert National Park. Foto: Tourism Saskatchewan / Greg Huszar Photography
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- In Saskatchewan leben mehr Angehörige der First Nations als in jeder anderen kanadischen Provinz. Foto: Tourism Saskatchewan / Kevin Hogarth Photography
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- Auch für Westernreiter ist Northern Saskatchewan ein Paradies. Foto: Tourism Saskatchewan / Eric Lindberg
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- Hochklassige Restaurants wie z. B. Aydens Kitchen & Bar von Top-Chef Canada Gewinner Dale McKay. Foto: Tourism Saskatchewan / Bob Deutscher
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- Zurück aus der Wildnis lockt die Zivilisation in Saskatchewans grösster Metropole Saskatoon. Foto: Tourism Saskatchewan / Remai Modern