
Il ventre di Venezia – Kulinarische Entdeckungen im Herzen der Lagune
- September 9, 2013
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Venedig zählt zu den schönsten Städten der Welt. Und es ist fast unmöglich, sich nicht auf Anhieb unsterblich in die pittoreske Kulisse bröckelnder Fassaden und verwinkelter Gässchen, stolzer Palazzi und malerischer Kanäle zu verlieben. Aber auch für Feinschmecker ist die Lagunenstadt zu allen Jahreszeiten ein lohnendes Ziel, zählt die traditionelle Cucina veniziana doch zu den besten Regionalküchen der italienischen Halbinsel. Ausgangspunkt für unseren kulinarischen Streifzug durch il Ventre, den Bauch von Venedig, ist San Paolo. Genauer gesagt, das linke Ufer des Rialto Viertels entlang des Canal Grande, eines der ältesten Quartiere der Stadt. Schon vor 1000 Jahren war hier das kommerzielle Zentrum von La Serenissima, der Erlauchtesten, wie die stolze mittelalterliche Republik Venedig mit Beinamen hiess. Und noch immer sind die Mercati di Rialto, deren Geschichte bis ins 11. Jahrhundert zurückreicht und heute aus der Pescheria (Fischmarkt) und der Erbaria (Obst- und Gemüsemarkt) bestehen, eine Institution, wo sich Einheimische und Touristen zwanglos mischen. Jeden Morgen wird fangfrischer Fisch aus der Lagune, der an die Stadt angrenzen Adria und dem Atlantik auf kleinen Lastkähnen vom ausserhalb gelegenen Grossmarkt über Venedigs maritime Hauptverkehrsader herangeschippert . Ausserdem auch knackiges Grünzeug von der berühmten Gemüseinsel Sant‘ Erasmo, dem Garten Venedigs, deren mineralstoffreicher Boden für ein überaus würziges Aroma der lokalen Vegetabilien sorgt.
Auf dem Rialtomarkt
Anschliessend drapieren die Verkäufer ihre Waren an den rund vier Dutzend Marktständen so liebevoll, als handele es sich bei den Viktualien um Juwelen in der Auslage von Bulgari, die eifersüchtig um die Gunst der Kundschaft buhlen: zarte Babyartischocken und süße Ochsenherztomaten, knackiger Fenchel und schneeweisser Spargel, edle Steinpilze und aromatischer Radicchio, edler Branzino (Wolfsbarsch) und glitzernde Orata (Goldbrassen), feuerrote Gamberoni und winzige Calamaretti. Egal, was Herz oder Gaumen begehren, auf dem Rialtomarkt wird man fündig. Beim Schlendern entlang der Marktstände ist probieren übrigens ausdrücklich erwünscht: knackige Herzkirschen aus dem Piemont, sonnengetrocknete Rubino-Tomaten aus Sizilien, rohe Sardellen direkt aus der Hand, winzige Gamberi rossi, taufrischer Tonno – wir müssen nur zugreifen. Trotz seiner Lage im touristischen Herzen der Stadt, ist der Rialtomarkt vor allem am frühen Morgen der ideale Ort um ein authentisches Stück Venedig zu erleben. Wenn am späten Vormittag die Touristenmassen heranwogen, sind die meisten Marktstände ohnehin bereits wie leergefegt und die empfindliche Ware längst auf dem Weg in die Küchen der Restaurants. Dabei kann vor allem die reiche Auswahl maritimer Spezialitäten nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die Fischerei in der Lagune seit Jahren in einer tiefen Krise befindet. Der Fischfang mit Netzen ist dort schon seit langem verboten. Nur das Ausbringen von Reusen an den Mündungen der Kanäle ist noch erlaubt und ist vor allem im Norden der Lagune rund um die Insel Burano verbreitet, deren bunte Fischerhütten noch von der einstigen Bedeutung des Fischereigewerbes für die Bewohner dieses Eilands zeugen.
Was die Lagune hergibt
Die Pescatori finden in ihren Fangkörben vor allem Meeräschen, Aale, Flundern und Seezungen, außerdem kleine Tintenfische oder Krabben. Aber die Fangmengen nehmen kontinuierlich ab. Was bleibt, ist die Zucht. Diese findet in sogenannten Valle da pesca statt. Das sind mit Dämmen, hölzernen Pfählen und Schilfgeflecht begrenzte Wasserflächen, die heute rund 92km2 der insgesamt etwa 550 Quadratkilometer grossen Lagune bedecken. Besonders bedeutend: die Muschelfischerei. Mehr als 80% der in Italien verspeisten Herzmuscheln stammen aus der Lagune von Venedig – unverzichtbare Zutat der berühmten Spaghetti Vongole, die mit reichlich Knoblauch, glatter Blattpetersilie und einem Schuss Weißwein zubereitet werden. Aber auch Kamm-, Enten- und Scheidenmuscheln gedeihen prächtig. Mancher Fischer hat angesichts der Krise bereits umgesattelt und seine Casone, wie die traditionellen Fischerhütten genannt werden, mittlerweile zum maritimen Imbiss umgebaut, wo er Touristen seine Meeresfrüchte auf eigene Rechnung serviert. Dieser Ittiturismo ist eine Art maritime Variante des in Italien sehr erfolgreichen Agriturismo und verschafft den Fischern eine zusätzliche Einnahmequelle.
Einen ähnlichen Weg schlug auch Lorenzo Manna ein, von allen im Quartier liebevoll Lollo genannt. 27 Jahre arbeitete der waschechte Venezianer, der von der Insel Giudecca stammt, als Fischverkäufer auf der Pescheria und war 15 Jahre lang sogar deren Präsident, bevor er ein eigenes Restaurant eröffnete. Seine Osteria 1518 unweit der Anlagestelle St. Basilio ist ein echter Geheimtipp, denn was hier auf dem Teller landet, ist die Quintessenz venezianischer Küche: feiner Garnelentatar mit Olivenöl und frisch gemahlenem Pfeffer, gegrillte Calamaretti mit Polenta, mit Gemüsezwiebeln sauer eingemachte Sardinen oder kleine Jakobsmuscheln in der Schale. Auf Anfrage begleitet Lollo Fischliebhaber gerne auf den Markt oder zu den Muschelbänken und beantwortet alle Fragen rund um Flossen- und Schalentiere. Eine ganz besondere Spezialität der Lagune, die man mit Lollo entdecken kann, sind die Moeche – eine venezianische Variante der Softshellcrabs. Die Schalentiere werfen im Frühjahr ihren alten Panzer ab und sind dann einige Zeit so weich, dass sie als Ganzes verspeist werden können, das heisst mitsamt Beinen, Scheren und Innereien. Die Zubereitung ist nichts für schwache Nerven: Man setzt die Tiere in eine Schüssel mit gequirltem Ei oder Milch und lässt sie so lange darin schwimmen, bis sie sich an ihrer Henkersmahlzeit satt gefressen haben. Ihr Leben hauchen sie dann in siedendem Öl aus, in dem sie knusprig ausgebacken werden – mit einem Spritzer Zitrone: eine Delikatesse! Rund 40 Molencante, wie die lokalen Krebsfischer heißen, gibt es noch in der Lagune. Die meisten haben die 70 aber schon hinter sich gelassen. Es ist also nur noch eine Frage der Zeit, bis dieses traditionelle Gewerbe ebenfalls verschwunden sein wird. Dabei ist die Fischerei durchaus lukrativ – bis zu 60 Franken kassieren die Fischer für ein Kilo der Krabbeltiere.
Wer nach einer ausgiebigen Shoppingtour langsam Hunger verspürt, findet rund um die 1907 errichteten, neogotischen Markthallen ebenfalls zahlreiche traditionelle Bacari. Diese urigen, meist recht schlicht eingerichteten Stehbars sind eine venezianische Institution, wo sich die Einheimischen ab dem späten Vormittag auf ein Gläschen Wein treffen, zu dem kleine, Chichetti genannte Häppchen verspeist werden. Zum Beispiel frittierte Fischchen, eingelegtes Gemüse oder herzhafte Fleischklößchen in Tomatensauce. Venezianischer als hier ist es sonst nirgendwo in der Stadt und die Baceri sind ein idealer Ort, um mit «echten» Einheimischen ins Gespräch zu kommen, um ihnen den ein oder anderen Geheimtipp für eine schöne Trattoria zu entlocken.
Wer sich ohne die Hilfe von Einheimischen orientieren will, für den gilt die Faustregel – je weiter weg vom Markusplatz, desto besser. Natürlich gibt es aber auch hier Ausnahmen. Restaurants, die ein Menu turistico anbieten, das womöglich von einer Art Marktschreier lautstark angepriesen und mit ausgebleichten Polaroids dokumentiert wird, sollten Geniesser jedoch tunlichst meiden. Auf den Speisekarten traditioneller Lokale finden man statt Pizza und Co. typisch venezianische Spezialitäten wie Baccalà mantecato, herzhaftes Stockfischmus, Bigoli in Salsa, Pasta mit kräftiger Sardellensauce, Pasta e Fagoli, dicke Makkaroni mit Bohnen, Fegato alla veneziana, saftige, geschmorte Kalbsleber mit Weißwein und Zwiebeln und natürlich Risotto nero mit frischem Sepia.