
El Transcantábrico
- Juli 31, 2017
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Galizien, Asturien, Kantabrien, das Baskenland – der grüne Norden der Iberischen Halbinsel, der sich von der französischen Grenze bei Biarritz entlang des Golfs von Biscaya bis zur zerklüfteten Atlantikküste bei Ferrol zieht, entspricht dank seiner keltischen Wurzeln kaum einem der üblichen Spanienklischees von Sangriaseeligkeit oder Teutonengrill.
Stattdessen warten mehr als 600 Kilometer Küstenlinie, an der sich üppige Wälder und wilde Schluchten, schneebedeckte Gipfel und einsame Strände, pittoreske Städtchen und elegante Seebäder, urbane Metropolen und mittelalterliche Weiler abwechseln, darauf, entdeckt zu werden. Ausserdem kulturelle Highlights von Weltformat und nicht zu vergessen die wohl beste Küche des Landes. San Sebastián, Ausgangspunkt unserer einwöchigen Tour, gilt nicht umsonst als Spaniens Gastronomiehauptstadt und Mekka für Gourmets. Aktuell leuchten nicht weniger als 16 Michelin-Sterne über den Feinschmeckertempeln von Juan Maria Arzak, Martin Berasategui, Andoni Luis Aduriz und Co.
Auf Schienen unterwegs
Eine der komfortabelsten Möglichkeiten, die unterschiedlichen Gesichter dieses geschichtsträchtigen Landstrichs kennenzulernen, ist eine Fahrt auf den Schienen von Europas längster Schmalspurbahn FEVE, der Ferrocarriles de Vía Estrecha, die seit 2013 zum staatlichen RENFE-Netz gehört. Bereits seit 1983 rollt auf den stählernen Trassen mit nur einem Meter Spurbreite zwischen Ende März und Anfang Oktober mit dem El Transcantábrico nämlich einer der schönsten Touristenzüge Europas.
In der Classico-Variante bedient er die Strecke Leon–Ferrol/Santiago de Compostela. Der 2011 in Dienst gestellte El Transcantábrico Gran Lujo startet dagegen in San Sebastián und nutzt ab Bilbao dann dieselbe Strecke wie der Classico. Tatsächlich zählt der Gran Lujo in Sachen Komfort zur weltweiten Top 10 der Luxuszüge und steht auf einer Stufe mit Schienenlegenden wie Royal Scotsman, Venice-Simplon Orient Express oder Rovos Rail. Maximal 28 Passagiere geniessen an Bord dieses rollenden 5-Sterne-Hotels erstklassigen Service, exklusive Exkursionen und täglich gleich zwei mehrgängige Gourmetmenüs. Eines davon wird an Bord serviert, eines in einem erstklassigen Restaurant entlang der Strecke. Darunter Sternetempel wie das «El Corral del Indianu» in Arriondas oder historische Paradores.
Die 14 eleganten, holzvertäfelten Suiten des Gran Lujo sind rund 13 Quadratmeter gross, bieten ein bequemes Doppelbett, Mini-PC, WLAN, ein kleines Wohnzimmer inkl. Minibar, zwei Panoramafenster und ein voll ausgestattetes Bad mit Dampfsauna. Mehr ist auf einem Meter Spurbreite kaum unterzubringen. Das Publikum an Bord ist international: Amerikaner, Briten, Franzosen, Holländer, Schweizer, Deutsche, auch viele Spanier.
Treffpunkt unserer kleinen Reisegruppe ist die Lobby des altehrwürdigen Hotels «Londres y de Inglaterra» direkt am Stadtstrand von San Sebastián. Bei einem gemeinsamen Lunch kommen wir uns bei Steinbutt, Lamm-Medaillons und Rioja schnell näher. Da ist zum Beispiel Gloria, pensionierte Spanischlehrerin aus New York. Neben ihr sitzen Kees und Berry, ein holländisches Ehepaar, das seit vielen Jahren in Andalusien lebt. David und Simón arbeiten in der Nähe von Bath im Süden Englands als Künstler und betreiben nebenbei in einem Anwesen des National Trust eine Bed&Breakfast-Pension. Marc und Maryann schliesslich stammen aus San Francisco. Für sie ist die Zugreise der Auftakt einer mehrwöchigen Europatour. So unterschiedlich die Biografien, haben doch alle eines gemeinsam: Sie sind vom Reisevirus gepackt.
Mit dem Bus zur Kultur
Begleitet wird der El Transcantábrico während der gesamten Tour von einem mit allen Annehmlichkeiten ausgestatteten Luxusbus, der die Passagiere bequem von den Haltebahnhöfen zu den Ausflugszielen und Restaurants bringt. Unser Busfahrer Benito steuert das monströse Gefährt dabei mit fast schon stoischer Gleichmut selbst durch engste Altstadtgässchen und über kurvenreiche Passstrassen.
Auf dem umfangreichen Besichtigungsprogramm unserer Reise stehen unter anderem das Guggenheim-Museum in Bilbao, die Niemeyer Foundation in Aviléz und die Höhlenmalereien von Altamira. Ausserdem das Franziskanerkloster Santo Toribio de Liébana. Es gilt wegen des dort aufbewahrten Kreuzreliquiars, des «Lignum Crucis», neben Rom, Jerusalem, Santiago de Compostela und Caravaca de la Cruz als heiligste Stätte der katholischen Christenheit. Bei Covadonga besuchen wir anschliessend das Grab von Asturiens erstem König, Don Pelayo, der hier im Jahr 722 in der gleichnamigen Schlacht erstmals den Vormarsch der Mauren stoppen konnte, die 711 auf der Iberischen Halbinsel eingefallen waren. Don Pelayo gilt deshalb als Vater der Reconquista, der Rückeroberung des spanischen Festlandes durch die Christen, die allerdings erst rund 800 Jahre später mit dem Fall Granadas enden sollte. Weitere Höhepunkte der Reise sind der Nationalpark Picos de Europa mit seinen bis zu 2700 Meter aufragenden Gipfeln und ein Spaziergang entlang des Playa de las Catedrales bei Ribadeo mit seinen beeindruckenden Felsformationen. Krönender Abschluss: die im Jahre 1075 begonnene Kathedrale von Santiago de Compostela mit dem Grab des Apostels Jakob, eine der monumentalsten Kirchen der Welt und alljährlich das Ziel Zehntausender Pilger auf dem Jakobsweg, der hier endet.
Ein typischer Tag im El Transcantábrico
Doch noch sind wir in San Sebastián. Nach dem Lunch und einem kurzen Stadtrundgang bringt uns Benito mit dem Bus nach Bilbao – dort erwarten uns der El Transcantábrico und das zwölfköpfige Zugteam schon im neoklassizistischen FEVE-Bahnhof gleich neben der Oper. Nach einem Glas Champagner und Iberico-Häppchen werden wir zu unseren Kabinen gebracht. Gar nicht so einfach, denn so grosszügig die Suiten ausgestattet sind, der Marsch durch den engen Korridor ist vor allem für Gäste in den am Ende des Zuges gelegenen Kabinen – ich selbst habe die 12 im vorletzten Wagen erwischt – jedes Mal eine kleine Herausforderung.
Neben sieben Waggons mit jeweils zwei Suiten und dem Service Coach führt der Zug ausserdem vier Gesellschaftswagen mit: einen rollenden Tee-Salon mit grossen Panoramafenstern, hinter denen eine Landschaft vorbeizieht, die oft eher an die irische Westküste, Wales oder Schottland erinnert, kämen nicht immer mal wieder vereinzelte Palmen oder ausgedehnte Eukalyptuswälder ins Bild; ausserdem zwei Bar- und Restaurantwagen mit unverschämt bequemen Sesseln von barocken Ausmassen. Schliesslich ein Party Coach, in dem am Abend Live-Musik geboten wird und an den sich die Küche anschliesst, in der Küchenchef Juan und seine Assistentin all die kleinen Köstlichkeiten zaubern, die uns die Fahrt versüssen. Nachts steht der El Transcantábrico in Bahnhöfen, sodass ungestörte Nachtruhe garantiert ist.
Ein typischer Tag im El Transcantábrico beginnt pünktlich um 8.00 Uhr mit dem «Glöckchen», das uns sanft aus süssen Träumen reisst. Nach einer Dusche wartet im Restaurant schon das Frühstücksbuffet auf uns, erweitert um täglich wechselnde regionale Spezialitäten. Um 9.45 Uhr heisst es: alle Mann von Bord. Reiseleiterin Rosa sorgt mit ihrem resoluten Charme und in drei Sprachen dafür, dass alle pünktlich im Bus sitzen. Neben geführten Rundgängen bleibt dabei immer auch genügend Zeit für Erkundungstouren auf eigene Faust. Gegen 14 Uhr ist es Zeit für ein ausgedehntes Mittagessen – in Spanien die wichtigste Mahlzeit des Tages. Weniger als vier Gänge stehen dabei nie auf der Karte, dazu fliessen erlesene spanische Weine und lokale Spirituosen wie der Orujo, eine Art kräftiger Grappa, in Strömen. Schon am dritten Tag wollen die Knöpfe am Sakko nicht mehr recht schliessen. Unseren Mitreisenden geht es nicht anders. Trotzdem geniessen wir jede Minute. Apropos Sakko: Der Dresscode an Bord ist ausgesprochen leger. Weder Krawatte, Anzug oder Abendkleid sind nötig.
Als böten die «offiziellen» Mahlzeiten nicht schon genug Gelegenheit zur Völlerei, gehören zusätzlich noch diverse Verkostungen zum Programm – etwa eine Probe von lokalen Käsespezialitäten wie des kräftigen Cabrales begleitet von traditionellem asturischem Cidre oder der Besuch auf einem Weingut, ebenfalls inklusive Probe und Tapas, versteht sich. Nach dem Mittagessen – also praktisch nie vor 16.00 Uhr – rollt unser Zug mit gemächlichen 50–70 Stundenkilometern dann jeweils seinem nächsten Ziel entgegen. Genügend Zeit also für eine ausgedehnte Siesta. Vor dem Dinner, das gegen 21 Uhr serviert wird, steht ein weiterer kleiner Ausflug auf dem Programm, der meist mit einem Predinner Drink endet. Nach dem Abendessen ist Partytime.
Santiago de Compostela
Neben Touristenmagneten wie Bilbao, San Sebastián oder Santander werden vom El Transcantábrico auch weniger bekannte, aber nicht minder lohnende Ziele wie Asturiens Hauptstadt Oviedo, Gijón oder Avilés angesteuert. Aber auch das Hinterland kommt nicht zu kurz: Ein absoluter Höhepunkt der Reise ist am 5. Tag zum Beispiel die Fahrt durch die rund 20 Kilometer lange Schlucht des Rio Deva mit ihren teilweise bis zu 600 Meter hoch aufragenden Felstürmen.
Mittlerweile ist die kunterbunte Truppe an Bord fast schon ein wenig zur Familie zusammengewachsen. Bei Lunch oder Dinner werden die Eindrücke des Tages ausgetauscht, nach dem Essen geniesst man zusammen noch eine Tasse Kaffee oder ein Gläschen Wein in einer nahegelegenen Bodega – schliesslich sind es von den meisten Übernacht-Bahnhöfen nur wenige Schritte ins Ortszentrum. Die Woche an Bord vergeht so fast wie im Flug, und als wir uns langsam dem Endpunkt unserer Reise in Ferrol nähern, macht sich Wehmut breit. Adressen werden getauscht, gegenseitige Besuche vereinbart. Dann bringt uns Benito per Bus auf der letzten Etappe direkt ins Zentrum von Santiago de Compostela mit seiner alles überragenden Kathedrale, wo die Reise im El Transcantábrico nach einer Stadtführung endet. Wir machen uns danach gemeinsam mit Kees und Berry in den Gassen der Altstadt aber erst mal auf die Suche nach einem guten Restaurant. Schliesslich geht es stramm auf 14 Uhr zu und unser Magen ist mittlerweile an regelmässige Mehrgangmenüs zu dieser Zeit gewöhnt. Ausserdem geniessen Galiziens Gewässer den Ruf, das beste Meeresgetier Europas zu beherbergen. Bei «mariscos» und Wein lassen wir die vergangene Woche dann noch einmal Revue passieren. Unser Abschied vor dem «Parador Nacional de los Reyes Católicos» ist herzlich, die Augen werden feucht – nicht nur wegen des Regens, der an diesem Nachmittag in Santiago fällt. Der Besuchstermin bei Kees und Berry in Andalusien steht. Wir haben neue Freunde gefunden. Danke El Transcantábrico!