Ein maritimes Fest: ?Insel-Hüpfen entlang der Fjordküste
- Juni 9, 2016
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Der Lonley Planet zählt eine Bootstour durch die unberührte Inselwelt der Fjordküste zwischen Bergen und Ålesund zu den unverzichtbaren Highlights jeder Norwegenreise. Wir haben das neue Island-Hopping-Angebot rund um das Solund- und Askvoll-Archipel ausprobiert. Als unsere SAS-Maschine im Landeanflug auf Bergens Flesland Airport durch die tiefgraue Wolkendecke bricht, macht das Wetter dem Ruf der Stadt alle Ehre: Es regnet Bindfäden.
An rund 250?Tagen im Jahr öffnet der Himmel seine Schleusen
Deshalb trägt Bergen auch den wenig schmeichelhaften Titel «Rain Capital of Europe». Und doch ist Norwegens zweitgrösste Stadt mit ihren knapp 280’000?Einwohnern einer der grössten Tourismusmagneten Skandinaviens. Schliesslich ist Bergen nicht nur Ausgangspunkt der legendären, rund 2?700??Kilometer langen Hurtigruten nach Kirkenes, sondern insgesamt einer der bedeutendsten Kreuzfahrthäfen Nordeuropas. Gleichzeitig hat es sich jedoch einen heimeligen Kleinstadtcharme bewahrt??– trotz Nieselregen.
Ihre Attraktivität verdankt die Stadt vor allem ihrer exponierten Lage zwischen den schneebedeckten Gipfeln im Hinterland und der Fjordküste. Tatsächlich zählt das Stadtpanorama, das wir nach der kurzen Standseilbahnfahrt auf Bergens Hausberg Fløyen geniessen, zu den schönsten der Welt. Doch uns bleibt nur wenig Zeit, die Highlights der Stadt zu erkunden, und wir beschränken uns deshalb auf das historische Bryggen-Quartier, das seit 1979 zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört. Hier wurde Bergen um das Jahr 1070 von Wikingerkönig Olav Kyrre gegründet. 1343 entstand an dieser Stelle dann ein erstes Handelskontor der norddeutschen Hanse, womit der kometenhafte Aufstieg der Stadt zu einem der wichtigsten europäischen Wirtschaftszentren des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit begann. Die kunterbunten Holzhäuser, die das Gesicht des Bryggen heute prägen, stammen allerdings erst vom Anfang des 18.?Jahrhunderts, da ein Stadtbrand 1702 grosse Teile Bergens verwüstet hat. Heute beherbergen die Gebäude unzählige Kneipen, Restaurants und Souvenirshops.
Ausgangspunkt unserer Island-Hopping-Tour ist das direkt gegenüber des Bryggen liegende Fährterminal am Strandquai, das unmittelbar an den Fischmarkt angrenzt. Von hier startet Punkt 8?Uhr die M/S?Vingtor, eine Norled-Express-Fähre in Richtung Sogn und Fjordane.
Während das Ufer anfangs noch von zahlreichen Holzhäusern im typischen Norwegerrot geschmückt ist, werden diese Zeichen der Zivilisation im Laufe der Zeit seltener, und die Landschaft beginnt sich in ein Labyrinth von Inseln aufzulösen.
Eine unwirklich schöne Inselwelt
Nach rund zweieinhalb Stunden erreichen wir schliesslich Krakhella auf der Ostseite der Insel Sula, die am Ende des gewaltigen, mehr als 200?Kilometer langen und bis 13’802?Meter tiefen Sognefjords liegt. Dort verlassen wir die Fähre und nehmen den Linienbus, der uns in rund 35?Minuten entspannter Fahrt entlang der spektakulären Küste in das kleine Örtchen Hardbakke bringt, wo wir auf die MS Stjernsund umsteigen. Hier beginnt unsere Reise durch die fast unwirklich schöne Inselwelt des Solund- und Askvoll-Archipels, den westlichsten Inselgemeinden Norwegens, die aus Tausenden von Holmen und Schären bestehen. Die sind teilweise nur durch enge Kanäle voneinander getrennt, sodass selbst die schmale Stjernsund sie nur mit Mühe passieren kann, manche liegen aber auch einsam im offenen Meer. Und während manches Mini-Eiland aus nicht viel mehr als blanken oder mit ein paar Flechten und ein wenig Moos überzogenen Felsbrocken besteht, auf denen ab und an ein paar Kormorane oder Seeadler rasten, sind die grösseren oft von saftig grünen Weiden bedeckt, auf denen Wildschafe grasen. Zum Archipel gehören aber auch ausgewachsene Inselschönheiten, von denen schroffe Gipfel und bizarre Gesteinsformationen teilweise mehrere Hundert Meter aus dem Wasser aufragen. Eine Traumlandschaft, die an die Kulissen eines Fantasyfilms erinnert.
Ahoi Kapitän
Unser Kapitän Hans (56) war früher Fischer, bis ihn vor einigen Jahren eine Schulterverletzung zwang, den Knochenjob an den Nagel zu hängen. Stattdessen transportiert er heute in den Sommermonaten an Werktagen die Post, aber auch alle anderen lebenswichtigen Güter und Besucher zu den wenigen bewohnten Inseln, auf denen teilweise nicht mal ein Dutzend Menschen lebt. «Wir sind so etwas wie die Lebensader, die die Kommunikation zwischen der Inselbevölkerung und dem Festland aufrechterhält», erklärt Hans. Und so müssen auch wir uns den ohnehin knapp bemessenen Platz an Bord des Postschiffs an diesem Morgen mit einer Wäschespinne, einem halben Dutzend Klappstühlen, einer Eismaschine und mehreren Blumentöpfen teilen, die entlang der Route zugestellt werden.
Nach gut 15?Minuten Fahrt laufen wir bereits unsere erste Station an: Litle Færøy. Am Landungssteg erwartet uns schon dessen einziger Bewohner: Roar Moe. Der lebt hier seit 18?Jahren und verbringt seine Zeit mit dem Restaurieren in die Jahre gekommener Boote. Ausserdem betreibt er etwas Landwirtschaft und demonstriert Besuchern gerne, wie karg das Inselleben früherer Zeiten war. Gleichzeitig erhalten wir aber auch einen kurzen Einblick in das reiche Erbe dieser maritimen Küstenkultur.
«Früher gab es hier so wenig Wasser, dass man zum Waschen auf eine Nachbarinsel fahren musste. Heute brauche ich nur den Knopf an meiner Waschmaschine zu drücken??– das ist schon ein Fortschritt», erzählt Moe lachend. Ob er nicht manchmal einsam sei, wollen wir zum Abschied noch wissen. Aber der Norweger schmunzelt nur: «Ganz im Gegenteil. Diesen Lebensstil habe ich ganz bewusst gewählt. Ausserdem ist es hier so friedlich, dass mich eh nichts und niemand aufs Festland locken könnte.» Und wir zweifeln keine Sekunde daran, dass Moe das völlig ernst meint. Zum Abschied winkt er noch kurz und marschiert dann zurück zu seinem schmucken kleinen Bauernhaus, vor dem ein paar Schafe grasen. Am liebsten würden auch wir – längst selbst vom Inselvirus infiziert – gleich da bleiben, aber Hans drängt??zur Eile. Schliesslich muss der Fahrplan eingehalten werden.
Nächster Halt ist Lågøy
«In meiner Kindheit gab es hier noch einen kleinen Tante-Emma-Laden, der die Bewohner der umliegenden Inseln mit dem Nötigsten versorgt hat», erzählt Hans, der selbst auf dem nahe gelegenen Gåsvær geboren wurde. Heute leben auf Lågøy gerade noch drei Personen.
Auch auf dem benachbarten Ytrøygrend, das man von Lågøy nach einer rasanten Fahrt durch einen der nur wenige Meter breiten Kanäle erreicht, ist nicht viel mehr los. Allerdings hat man dort aus der Not eine Tugend gemacht und bietet Touristen, die auf die Insel kommen, in einem winzigen Laden direkt am Hafen lokale Spezialitäten an. Dessen Öffnungszeiten – Montag bis Freitag 11.30?bis 12.30?Uhr – sind auf den Fahrplan des Postschiffs abgestimmt, denn sonst verirrt sich kaum jemand hierher. Im Angebot ist luftgetrockneter Wildschafschinken, der in den Delikatessengeschäften von Bergen unter dem Label Solund mat zum doppelten Preis verkauft wird. Ausserdem herrlich weiche Schaffelle, handgemachte Wollgarne und natürlich Norwegens Nationalheiligtum: Stockfisch.
Langsam bekommen auch wir Appetit, und zum Glück gibt es bei unserem nächsten Stopp auf Gåsvær einen kleinen Imbiss. Hier lebt nämlich bis heute Anne-Marie Gåsvær-Færøy, die Schwester unseres Kapitäns. Dass ihr Nachname mit dem der Insel identisch ist, ist kein Zufall – früher nannten sich die Familien einfach nach dem Eiland, auf dem sie lebten.
In ihrem bis unter das Dach vollgestopften Bootshaus hat Anne-Marie einen kleinen Tisch mit heissen Pfannkuchen und Kaffee aufgebaut. Damit verdient sie sich ein kleines Zubrot. Ihren eigentlichen Lebensunterhalt bestreitet sie allerdings mit dem Fleisch und der Wolle von rund 50?Wildschafen, die auf der Insel leben. Ausserdem vermietet sie einfache Unterkünfte an Touristen, die sich in den Sommermonaten auf dem abgelegenen Eiland vom Grossstadtstress erholen oder in den reichen Fischgründen der Insel- und Fjordgewässer auf Angeltour gehen wollen.
Nach einer weiteren halben Stunde flotter Fahrt über das offene Meer steuert die Stjernsund schliesslich ihren Endhafen auf der Insel Bulandet an, die bereits zum Askvoll-Archipel zählt. Wer mag, kann sich dort im winzigen Havsalaten-Café erst einmal mit einer kräftigen Fischsuppe oder einem Teller Lutefisk stärken – ein traditionelles norwegisches Stockfischgericht, serviert mit ausgelassenem Speck, Erbsenpüree und Kartoffeln. Dann geht es – je nach Kondition und Wetter – entweder per Bus oder mit dem Fahrrad weiter von Bulandet zur Nachbarinsel Værlandet, die durch insgesamt sechs gewaltige Hängebrücken miteinander verbunden sind. Von denen geniesst man bei gutem Wetter eine atemberaubende Aussicht auf das gesamte Archipel. Von Værlandet setzen Island-Hopper dann entweder mit der Fähre nach Askvoll über, von wo sie die Norled-Katamarane am späten Nachmittag in gut dreieinhalb Stunden zurück nach Bergen bringen. Alternativ kann die Tour aber auch weiter in Richtung Florø und Kinn fortgesetzt werden. Wir entscheiden uns deshalb fürs Bleiben und übernachten im Værlandet Havhotel, das erst im Mai 2016 eröffnet hat. Gästen bietet sich hier ein spektakuläres Postkartenpanorama auf die vorgelagerte Insel Alden, die von den Einheimischen wegen ihrer speziellen Form auch Norwegian Horse genannt wird und rund 481?Meter praktisch senkrecht aus dem Meer aufsteigt.
Schiff ahoi! – Auch im Regen
Am nächsten Tag nehmen auch wir die planmässige Autofähre hinüber nach Askvoll und besuchen das Denkmal von Ingólfur Arnarson in Rivedal an den Ufern des Dalsfjord. Der Wikingerspross, der auf Askvoll geboren wurde, gilt heute als erster permanenter Siedler auf Island, wo er sich nach seiner Verbannung mit einem Gefolge irischer Sklaven im Jahre 874 niedergelassen und wenig später die Stadt Reykjavík gegründet haben soll. Zurück zum Hafen geht es auf der Bakkejekta, einer musealen Replik eines für die norwegischen Küstengewässer typischen Frachtseglers, mit dem im 17. und 18.?Jahrhundert Handelsgüter nach Bergen transportiert wurden. Von dort bringt uns die Fähre am Abend schliesslich nach Florø.
Bevor auch wir am nächsten Tag zurück nach Bergen fahren, steht am Morgen noch ein Ausflug auf die grüne Sageninsel Kinn auf dem Programm. Die wird vom schroffen Kinnaklova überragt, dessen von einer tiefen Schlucht gespaltener Doppelgipfel Seefahrern bereits seit Jahrhunderten als markanter Orientierungspunkt dient. Der rund 4.5?Kilometer lange Inselrundweg bringt uns schliesslich zur berühmten Inselkirche, die auf das 12.?Jahrhundert zurückdatiert. Von Florø nach Bergen zurück geht es dann wieder auf der Norled-Fähre. Kaum angekommen werden wir dort erst mal standesgemäss von einem ordentlichen Regenguss begrüsst. Aber mittlerweile haben wir uns auch daran längst gewöhnt. Schiff ahoi!