
Die Formel 1 des Bergsteigens – Benedikt Böhm
- Mai 28, 2014
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In knapp 24 Stunden schaffte es Benedikt Böhm mit Skiern bis zum Gipfel und wieder herunter, und das auf dem achthöchsten Berg der Welt!
Der Dynafit-Geschäftsführer Benedikt Böhm hat ein zeitraubendes und vor allem ein ungewöhnliches Hobby. Denn neben seinem Kopf beansprucht der Manager vorwiegend seinen Körper. Der 1977 in München geborene Böhm bezwingt Achttausender so kompromisslos, wie kaum ein anderer, denn seine Leidenschaft ist das Speed-Bergsteigen. Leicht, schnell und sicher besteigt er mit Skiern in Rekordzeit die höchsten Gipfel der Welt. IMAGINE sprach mit dem sympathischen 36-jährigen Extremskibergsteiger, der den Manaslu ohne Sauerstoff bezwungen hat.
IMAGINE: Was treibt Sie dazu, die höchsten Berge der Welt im Eiltempo zu besteigen?
Benedikt Böhm: Ich komme aus dem Leistungssport als Skitourenrennläufer. Mich hat der Sport so fasziniert, dass ich diesen Speed-Ski-Stil an immer höheren Bergen ausprobiert habe. So ging es von 5 000 auf 6 000, 7 000 bis auf 8 000 Meter. Es geht dabei nicht um Rekorde, sondern um ein Zeitfenster, welches ich mir selbst auferlege, um heil nach oben und wieder herunterzukommen. Ich bin fasziniert von der Kombination aus schnellem und leichtem Aufstieg, direkt vom Basecamp gefolgt von einer Skiabfahrt an den höchsten Bergen.
Wie viel Vorbereitungszeit benötigen Sie für eine Besteigung? Und welche Faktoren müssen beachtet werden?
Bis ich mich 2006 an meinem ersten 8 000er in diesem Speed-Ski-Stil gewagt habe, sind Jahre der Vorbereitung vergangen. Es geht nicht nur um ein unglaubliches Trainingspensum, sondern auch ums Steilwandskifahren und perfekte Technik. Zudem musste ich meine Instinkte entwickeln, um die richtigen Entscheidungen in der Todeszone zu treffen.
Als Aussenstehender würde man vermuten, den Berg könnte man eher in einem etwas ruhigeren Tempo geniessen. Was reizt Sie so sehr an der schnellen Besteigung?
Das ist ein allgemein gängiger Irrglaube. Schnelligkeit ist völlig subjektiv und der Genuss hängt enorm mit der individuellen Leistungs- und Belastungsgrenze zusammen. Ich denke, dass ich einen wesentlich niedrigeren Puls habe als zum Beispiel die vielen Skitourengeher, welche ich schnell während meiner Trainingseinheiten überhole. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass ich mehr von meiner Umgebung mitbekomme, obwohl ich schneller bin, da ich weiter von meiner anaeroben Schwelle entfernt bin als vielleicht der langsamere Sportler. Wenn es an eine Gipfelbesteigung von einem 8 000er geht, kann ohnehin nicht mehr von Geniessen gesprochen werden. Auch hier habe ich erlebt, dass Bergsteiger wesentlich näher an ihrer Leistungsgrenze waren als ich, obwohl sie von einem 2 400 Meter höher gelegenen Lager zum Gipfel gestartet sind. Zudem hatten sie künstlichen Sauerstoff und Sherpa dabei. Ich startete vom Basecamp und verzichte auf künstlichen Sauerstoff und Sherpa.
Mit welcher Ausrüstung sind Sie unterwegs? Was befindet sich in Ihrem Rucksack? Wird auf etwas verzichtet, um das Gewicht zu reduzieren, was jedoch eventuell die Sicherheit optimieren könnte?
Wir verzichten auf alles, was man sonst dabei hat, wenn man traditionellerweise über Lagerketten geht. Das heisst, wir haben keine Rückzugsmöglichkeit in ein Zelt und einen wärmenden Schlafsack. Wir haben somit auch keine Kochstelle und kein extra Proviant. Wir brechen fast auf wie bei einem Skitourenrennen in den Alpen. Alles ist auf ein minimales Zeitfenster ausgelegt. In unserem Rucksack befindet sich nur das allernötigste Material, wie Steigeisen, Pickel, 2 Liter zu Trinken und 20 Powergels zu Essen. Gesamt wiegt mein Rucksack 12 kg. Alles ist kompromisslos abgestimmt, um schnell und leicht zu sein. Jeder Handgriff ist perfektioniert. Schnelligkeit ist wiederum der entscheidende Sicherheitsfaktor für mich. Denn anstatt mich 3 bis 4 Tage in der Risikozone aufzuhalten, verbringe ich nur wenige Stunden in der Todeszone. Zudem breche ich mit vollen Energiespeichern vom Basecamp in einem Zug zum Gipfel auf. Ich habe zwar keine Lagerketten, aber die Skier als schnelle Abstiegshilfe, falls ich umkehren muss. Es gibt kein gut oder schlecht, jeder muss für sich entscheiden, wie er am besten in der Todeszone zurechtkommt.
Begleitet Sie stets die Angst während einer Bergbesteigung?
Angst kann blockieren, aber auch überlebenswichtig sein. Ich versuche, blockierende Angst mit Mut zu überwinden und überlebenswichtige Angst nicht zu ignorieren. Die Anspannung während solch einer Besteigung, die ich als die Vorstufe der Angst empfinde, ist ein extrem wichtiger Motor.
Würden Sie sich selbst als mutig bezeichnen?
Der Grat zwischen Mut und Dummheit ist oft schmal. Ich war von Kind auf bis Mitte zwanzig ein Draufgänger und wollte Stuntman werden. Dabei lieferte ich mich regelmässig selbst mit Platzwunden ins Krankenhaus ein. Schmerzhaft lernte ich, dass selbst verschuldete Verletzungen dumm sind. Ich habe mein Draufgängertum abgelegt und bekämpfe meine Angst heute nicht mehr durch Tollkühnheit, sondern durch Professionalität und optimale Vorbereitung.
Bei der Besteigung von Manaslu wurden Sie mit der Gewalt der Natur direkt konfrontiert. Im Lager 3 nebenan starben mehrere Bergsteiger in einer Lawine. Wie stark beeinflussen solche Erlebnisse weitere Bergbesteigungen?
In solchen Situationen handelt man instinktiv. Wenn die Aussenwelt von solchen Unglücken hört, ist das ein grosser Schock. Wir wissen um die Risiken und wir wären naiv, wenn wir diese ignorieren würden. Die Risikobereitschaft sinkt mit steigendem Alter und wachsender Erfahrung. Mit meinen fünf Freunden zusammen waren wir kurz nach dem Lawinenunglück als Erste an der Unglücksstelle. Wir haben sechs Stunden dort oben gearbeitet, bis endlich Rettung aus der Luft kam. Sechs Tage später bin ich in 15 Stunden vom Basecamp zum Gipfel gelaufen. Dabei zählt für mich die Selbstachtung. Wir hatten alles getan, um den Menschen zu helfen, und ich hatte ein reines Gewissen vor mir selbst.
Reizt Sie der Mount Everest?
Ja.
Wie sehen Sie die Entwicklung der Outdoor-Branche in Zukunft?
Für die ganze Outdoor-Branche kann ich nicht sprechen, aber es wird wie überall sein: Um eine boomende Branche erfolgreich zu erhalten, muss sich die ganze Branche immer wieder neu erfinden. Dafür braucht es die Bereitschaft, Veränderungen voranzutreiben und Innovationen zu fördern. Ich denke, dass die Branche das Potenzial hat, auch langfristig erfolgreich zu sein, denn was gibt es Schöneres als in den Bergen und draussen zu sein?