
Diamantenfieber
- November 3, 2017
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Auf Spurensuche in der Wüste Namib: Kolmanskuppe, Geisterstadt und einstige deutsche Diamantengräbersiedlung.
Ein heftiger Wind fegt vom Atlantik durch die Wüste Namib in Richtung Diamantensperrgebiet. Feiner Sand dringt durch Fenster und Türritzen der wildwestartigen Kolonistenhäuser von Kolmanskuppe. Meterhoch türmt sich der Sand in den Stuben und Dielen, gleissendes Sonnenlicht strömt durch die Fenster, deren verwitterte Läden schief aus den Angeln hängen. Niemand lebt hier mehr. Ausser vielleicht ein paar Geckos und Skorpione.
Ein Trupp Touristen stapft einer Fremdenführerin hinterher. «Und hier sehen Sie, wie so ein deutscher Diamantengräber damals gelebt hat.» Feldbett, Kommode, Nachtgeschirr, Essgeschirr, Kaiser Wilhelm in Öl – Puppenstubenromantik in Südwestafrika. Auch die Turnhalle wurde konserviert: Reck, Pferd und Barren stehen da, als hätten sich eben noch Soldaten der kaiserlichen Schutztruppe mit Klimmzügen für den nächsten Herero-Aufstand gerüstet. Kolmanskuppe, die einstige deutsche Diamantengräbersiedlung im heutigen Namibia, ist eine Geister- und Museumsstadt. Während der Endphase des deutschen Kaiserreichs war der Ort ein Vorposten deutscher Lebensart in Afrika. Seit 1884 war ganz Südwestafrika deutsches Schutzgebiet.
Die Zeit der Glücksritter
1908 wurde die Bahnstrecke von Lüderitzbucht nach Keetmanshoop fertiggestellt. Der thüringische Eisenbahner August Stauch kontrollierte die Gleise zwischen Lüderitz und der Station Grasplatz. Stauch schärfte seinen Männern ein, auf ungewöhnliche Steine zu achten. Am 14. April 1908 kam der Arbeiter Zacharias Lewala mit einem Fund zu Stauch – ein Diamant! Stauch kaufte die Schürfrechte und stellte Arbeiter ein. Bis Ende 1908 waren 39’000 Karat Rohdiamanten ausgebuddelt. Hunderte Glücksritter machten sich auf. Die Reichsregierung setzte dem Treiben ein jähes Ende. Bereits am 22. September 1908 erklärte sie einen 100 Kilometer breiten Küstenstreifen zum Diamantensperrgebiet. Das Gebiet wurde der flugs gegründeten Deutschen Diamanten Gesellschaft unterstellt. Fortan verdiente das Kaiserreich. 1910 war der 15 Kilometer von Lüderitz entfernte Ort bereits eine boomende Wüstenoase, das Pro-Kopf-Einkommen der Kleinstadt und damit das höchste ganz Afrikas. Bis 1914 wurden tausend Kilo Diamanten gewonnen.
Eine Siedlung entsteht
Die deutschen Kolonisten von Kolmanskuppe lebten komfortabel. Häuser wurden im Wüstensand hochgezogen, Jugendstilvillen mit Giebeldächern und verglasten Veranden. Es gab eine Schule mit Turnhalle und Ballsaal, Krankenhaus, Postamt, Bäckerei, Metzgerei, Gemischtwarenladen, Restaurants, eine Blockeis-Anlage. In der Schule paukten bis zu vierundvierzig Kinder das Einmaleins und lasen Schiller. Der Pfarrer kam per Motorrad aus Lüderitzbucht zum Gottesdienst, der im Klassenzimmer gefeiert wurde. Die weniger frommen Kolonisten fuhren sonntags nach Lüderitzbucht zur Bar von «Kapps Hotel». Gezahlt wurde gerne in Karat. Bis zu 400 deutsche Siedler lebten in Kolmanskuppe. Die fast 1000 schwarzen Schürfarbeiter waren ausserhalb des Ortes in Sammelunterkünften untergebracht. Die Deutsche Diamanten Gesellschaft und später die südafrikanische Consolidated Diamond Mines (CDM) verdienten in Kolmanskuppe prächtig. Ihr Nachfolger, die namibische Namdeb, tut es noch heute – wenn auch in anderen Abschnitten des Sperrgebiets.
Erinnerungen
Was in Deutsch-Südwest fehlte, brachten Ozeanriesen der Woermann-Linie – vom Bauholz bis zum Grammophon. Der Deutsch-Südwester Willi Bartens, Jahrgang 1919, der in Kolmanskuppe aufgewachsen war und kürzlich verstorben ist, erinnerte sich: «Lüderitzbucht hatte in den 1920er Jahren seine Blütezeit. Alles, was in Kolmanskuppe verbaut wurde – jede Eisenbahnschiene, jede Schraube –, kam aus Deutschland. Sogar das Bier – jede Flasche in einer Strohhülse.» Bartens, dessen Vater 1904 nach Deutsch-Südwest emigriert war, ging in Kolmanskuppe zur Schule der CDM und lernte Schlosser. Der Feierabend war vom Vereinsleben bestimmt: «Montagabend Musikprobe der Kapelle des Turnvereins Kolmanskuppe. Dienstagabend Turnen in der Halle. Mittwochs Männerchor. Donnerstags Pfadfinder. Freitags wieder Turnen.» Sonntags marschierte der junge Bartens mit seinen Brüdern für das Reichssportabzeichen durch die Namib, während der Vater, der werktags Hochspannungsleitungen reparierte, Antilopen schoss.
1915 hatte sich die Schutztruppe den britisch-südafrikanischen Verbänden ergeben müssen. Die Hälfte der «Südwester» wurde fortan von Südafrika «heim ins Reich» zwangsrepatriiert – während von Süden Buren zuwanderten. Adolf Hitler erschien den verbliebenen Deutschen als einer, der sie aus der «burischen Knechtschaft» erlösen würde. Bartens: «Wir waren mittendrin, obwohl wir weit weg waren.» 19-jährig suchte er den deutschen Konsul auf. Er wollte sich für Wehrmacht oder Reichsarbeitsdienst melden – und wurde abgelehnt. «Es hat nicht sollen sein», erinnerte er sich im Gespräch und war froh darüber, «denn viele Südwester sind drüben gefallen».
Der Niedergang
Statt Stalingrad und «totalen Krieg» erlebte Bartens den Niedergang von Kolmanskuppe. Weiter südlich waren die neu entdeckten Diamantenvorkommen ergiebiger – bis heute. Schon 1930 wurde die Mine von Kolmanskuppe dichtgemacht, weil die Vorkommen dort nahezu erschöpft waren. Magazine und Werkstätten wurden von anderen Minen weiter genutzt. 1939 baute CDM weiter Stellen ab. Die Familie Bartens zog nach Windhuk. 1956 gingen die letzten Familien fort. Die Wanderdünen der Namib nahmen den Ort in Besitz. 1980 begann CDM, einzelne Häuser wieder auszugraben und instand zu setzen und Originalmöbel aus Privatbesitz zurückzukaufen. Heute ist der Ort Museum mit jährlich 30’000 Besuchern, die auf verwehten Spuren wandeln.