Der Aufbruch der Touristen
- Februar 12, 2016
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In der Neuzeit ist Reisen ein Privileg des Adels und die britische Nobless von jeher sein Trendsetter. Mit dem Aufstieg der Bürgerschaft und der Erfindung der Dampfmaschine setzen sich auch die Massen in Bewegung. Nachdem die Grand Tour des Adels durch die Umwälzungen auf dem Kontinent unmöglich und sie ihnen durch die nach Italien ziehenden Künstler und Gebildeten verleidet wird, richten sie sich zuerst in Kur- und später in Seebädern stattlich ein. Doch das durch die Industrialisierung zu Geld gekommene Bürgertum folgt ihnen auf dem Fuss. Der exklusive Aufenthalt zwischen Promenade, Spielbank und Konversationshaus wird den Aristokraten verdorben. Man bringt Strecke zwischen sich und den Rest und bereist wieder den Kontinent. Man zieht sich an der Côte d’Azur unter Seinesgleichen zurück oder betritt wieder das ferne Italien oder Ägypten und Palästina. Durch die neuen Transportmittel verliert das Reisen allerdings seine Exklusivität. Zug und Dampfschiff sind vergleichsweise günstig und schnell. Von Rotterdam nach Strassburg sind es nur noch fünf Tage.
Vom roten Buch zum Baedecker
Die britischen Reisenden begleitet ein kleines rotes Buch. Es ist der Reiseführer von John Murray: Handbook for Travellers on the Continent. Karl Baedecker, der in Koblenz seit 1827 eine Verlagsbuchhandlung hat, bemerkt, wie es sich unverschämt gut verkauft. Das Schnellreisehandbuch von Klein, das er selbst herausgibt, ist hingegen ein Ladenhüter. Der findige Verleger orientiert sich an dem englischen Kassenschlager und bearbeitet Kleins Rheinreise von Mainz bis Köln zweimal. Sein Wunsch ist ein übersichtliches, kurzweiliges und informatives Handbuch, auf das sich der Reisende verlassen kann.
Er gliedert sein Buch in drei Kapitel und überprüft die Angaben persönlich pedantisch. Durch seine systematische und umfassende Darstellung befreit er die Reisenden von der Abhängigkeit der Lohnbedienten, den Touristenführern der Zeit. Er legt protestantischen Wert auf gute Kost und Logis zu kleinen Preisen. Seine Empfehlungen und Warnungen spüren die Wirte deutlich. In den nächsten Jahren wird er die warmen Monate über reisen, um an weiteren Reisebüchern zu schreiben.
Die bürgerlichen Romantiker zieht es an den Mittelrhein, man bereist Holland und Belgien, Paris, Deutschland, Österreich und die Schweiz. Seit der Eröffnung der Rheinlinie von Köln nach Mainz 1827 nehmen 1850 schon über eine Million Besucher pro Jahr das Schiff. Baedecker bedient die Reisenden mit seinen Büchern, die bald im typischen Rot erscheinen und mit den Baedecker-Sternen die Glanzlichter markieren. Der reisende Bildungsbürger hetzt von der romantischen Mittelrheinaussicht zum ausgezeichneten Gemälde, zur besonderen Kirche. Durch Baedeckers wortwörtliche Erbsenzählerei wird selbst Kaiser Wilhelm?I. angesteckt: «Es steht im Baedecker, dass ich den Wachwechsel vom Fenster aus betrachte, und die Leute sind dafür gekommen.»
Pauschalreisen à la Thomas Cook
Während das Bürgertum mit seinem roten Buch auf Erkundungstour macht, kämpft in England der Puritaner Thomas Cook gegen die Trunksucht der Arbeiterklasse. Sie zieht es schon 1845 zu Hunderttausenden an den Wochenenden in den dampfenden Stahlkolossen zu den ehemals luxuriösen Strandbädern, wo sie auf den Piers bei Blaskapelle, Flohzirkus, Achterbahn und in den Pubs dem Alltag entfliehen. Um sie am Sonntag vom Wirtshaus fernzuhalten, beginnt er, Pauschalreisen zu organisieren. Er handelt mit den Transportgesellschaften günstige Preise aus und stellt Verpflegung und ein Unterhaltungsprogramm zusammen. Er organisiert Reisen nach Cardiff, Dublin oder zur Weltausstellung 1851 in London. Durch seinen grossen Erfolg dehnt er seine Angebote 1864 auf den Kontinent und bald schon bis nach Ägypten aus. Er führt Coupons und später den Reisescheck ein. Nun nicht mehr für Arbeiter. Für Reisende ist Europa ein Dorf geworden. Auch Amerika ist nah, und 1867 landet ein amerikanischer Tourist, Mark Twain, in Hamburg. In seiner Tasche steckt ein roter Baedecker.