
Den Finger am Auslöser
- Oktober 4, 2016
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Sie gilt als Grande Dame der deutschen Fotografie und blickt den Porträtierten tief in die Augen. Ihre Bilder sind genau, sachlich und tiefgründig. Ob Politiker, Kardinäle oder Sterbende, die Fotografin schaut hinter die Fassade und zeigt den Menschen. Herlinde Koelbl hatte Modedesign studiert, bevor sie Mitte der 70er zu fotografieren begann. Sie fotografierte für Stern, Die Zeit und New York Times, bevor sie sich 1980 an ihr erstes eigenständiges Projekt machte. Mit ihrer Langzeitstudie «Spuren der Macht» erlangte sie besondere Bekanntheit: Sie fotografierte von 1991 bis 1998 jährlich Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft. Aus den Momentaufnahmen schafft Herlinde Koelbl eine Entwicklungsgeschichte. So zeigen ihre Bilder den Weg von Angela Merkel von einer jungen, unscheinbaren Politikerin zur selbstbewussten CDU-Generalsekretärin, die später Kanzlerin wird.
Schiessziele
Das jüngste Projekt von Herlinde Koelbl ist «Targets» (2015), für das sie Schiessziele auf der Welt fotografiert hat. In sechs Jahren hat die Fotokünstlerin in 30 Ländern militärische Schiessplätze besucht und die verschiedensten Zielscheiben festgehalten – von der einfachen Blechdose in der Wüste bis zur simulierten Trainingssituation mit Schauspielern und Kunstblut. Jede einzelne Aufnahme ist gelungen, doch geht es Herlinde Koelbl mit «Targets» um mehr. Neben den Fotografien der Schiessziele hat sie Soldaten porträtiert, Interviews geführt und eine Videoinstallation geschaffen. Diese Zusammenstellung ergibt einen vielschichtigen und beklemmenden Blick auf das weltweite Einüben des Tötens. «Targets» wurde im Rahmen der Manifesta??11 im Zürcher Museum für Gestaltung ausgestellt. Nach einer persönlichen Werkführung unterhielt sich IMAGINE mit der Fotografin über das Projekt.
IMAGINE: Sehr geehrte Frau Koelbl, wie kamen Sie auf die Idee, Schiessziele zu fotografieren?
Herlinde Koelbl: Der Ursprung war vor ungefähr 30?Jahren. Damals habe ich eine Geschichte über die Bundeswehr fotografiert, und am Morgen, nachdem wir mit den Soldaten durch die Nacht marschiert sind, sehen wir über einen Acker auf ein Ziel mit einer durchlöcherten Silhouette, durch die die Morgensonne schien. Man sah auf der einen Seite Schönheit und auf der anderen Seite den Tod und die Aggression. Diese Ambivalenz hat mich fasziniert, und ich habe es fotografiert. Das Bild wurde nie veröffentlicht, aber es hat mich auch nie mehr losgelassen.
Sie haben für «Targets» Schiessziele in 30?Ländern fotografiert. Wie haben Sie das organisiert bzw. wie haben Sie es geschafft, an Orte vorgelassen zu werden, die der Öffentlichkeit normalerweise verschlossen sind?
Das war natürlich schwierig. Man brauchte für jedes Land die Genehmigung des Verteidigungsministeriums, und das hat manchmal Jahre gedauert. Für die Arabischen Emirate waren es vier Jahre, Russland zwei Jahre und so weiter. Ich wollte aber einen Überblick über den ganzen Globus haben, dass man wirklich auf der ganzen Welt sieht: Wie sieht der Feind aus, der in Schiesszielen dargestellt ist.
Und was für Schiessziele haben Sie gesehen? Was sagen die verschiedenen Schiessziele über die jeweilige Gesellschaft aus?
Man sieht grundsätzlich die Veränderung des Feindbildes. Bisher war ja die Sowjetunion der Feind, und in Amerika drückte es sich damit aus, dass der rote Stern an der Schiessfigur war, auf die man zielte. Aber der Kalte Krieg ist zu Ende, und es hat sich alles verändert. Jetzt ist der Krieg asymmetrisch geworden, und das Feindbild ist orientalisch. Das sieht man an den Schiesszielen, aber auch in den Häuserkampfanlagen, wo ganze arabische Dörfer nachgebaut und die Soldaten realistisch trainiert werden. Sie werden hinterher nur noch in das Land, in dem sie eingesetzt werden, versetzt. Mit der Umgebung sind sie dann vertraut.
William T. Sherman prägte den Ausspruch «War is Hell». Wie hat sich in Ihrer Erfahrung die Hölle des Krieges gewandelt?
Das hat sich in die Richtung verändert, dass Krieg früher ein Frontenkrieg war. Da gab es Schützengräben, der Feind trug eine Uniform und man hat gegeneinander gekämpft. Jetzt ist der Feind in dem Sinne gar nicht mehr sichtbar. Er hat keine Uniform mehr an, er hat nicht unbedingt ein Gewehr in der Hand: Es kann jedermann sein, der eine Bombe wirft oder plötzlich schiesst.
Neben den Fotografien haben Sie auch Gespräche geführt, die Teil der Ausstellung sind. Was für ein Verhältnis hat ein Soldat zu den Schiessübungen und zum Töten, das man damit trainiert?
Soldat sein hat eine grundlegende Basis: Soldaten werden trainiert zu schiessen und zu treffen, um zu überleben und um zu töten. Beides im Ernstfall. Ich denke auch, dass man Soldaten in ihrem Denken konditioniert, dass der andere der Feind ist. Das heisst also auch, dass, dadurch der andere der Feind ist, ich auch berechtigt bin, ihn zu töten. Ich bin ja so trainiert worden, und jeder Soldat, wo immer er ist, in welchem Land er auch ist, denkt, er ist auf der richtigen Seite und er tut das Richtige.
Was haben Sie für sich durch den Blick auf die Schiessplätze der Welt gelernt?
Mir ist bewusst geworden, wie sicher wir leben und dass wir den Frieden in den letzten Jahren fast als selbstverständlich wahrgenommen haben. Wie brüchig der Frieden ist, ist mir zum Beispiel in der Ukraine deutlich geworden. Plötzlich, völlig unerwartet kippt eine Situation und alles ist anders. Ich denke, ganz entscheidend ist auch, dass wir, wenn wir etwas mehr Frieden haben wollen, auch etwas für mehr soziale Gerechtigkeit tun müssen.