Cocktails with a Twist: Die American Bar im Londoner Savoy
- November 15, 2016
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Wahrscheinlich staunten die Leser des Amhurst Farmer´s Cabinet im Frühjahr 1803 nicht schlecht, als sie in der aktuellen Ausgabe des Blattes erfuhren, dass man einen Cocktail nicht nur
vor Pflug oder Kutsche spannen, sondern damit ebenso gut einen ausgewachsenen Kater vertreiben könne. So zumindest der Vorschlag des namenlosen Autors, der sich auf Anraten seines Arztes nach einer durchzechten Nacht gleich zwei Drinks genehmigt, ohne uns allerdings das genaue Rezept des Hangover-Killers zu verraten. Tatsächlich war der Cocktail damals nämlich (noch) nicht als alkoholisches Mixgetränk bekannt, sondern stand als Sammelbegriff für Arbeitspferde, denen man aus Sicherheitsgründen den Schwanz kupiert hatte. Erst drei Jahre später erschien in einer New Yorker Tageszeitung dann das erste, freilich noch nicht sonderlich elaborierte Cocktail-Rezept, in dem vier Hauptzutaten für einen guten Drink genannt werden: «a stimulating liquor, composed of spirits of any kind, suger, water and bitters – it is vulgarly called a bittered sling».
Der Sling
Unter einem Sling verstand man damals schlicht eine mit Wasser verdünnte und mit Zucker gesüsste Spirituose??– bei der oft zweifelhaften Qualität damaliger Brände sicher kein Fehler. Wirklich neu am Cocktail war also nur, dass man jetzt quasi als i-Tüpfelchen noch Bitters dazu gab, die selbst aus Dutzenden Zutaten zusammengebraut waren. Darunter vor allem aromatische Kräuter, Samen und Wurzeln, aber auch exotische Früchte und Gewürze. Diese hochprozentigen Auszüge, die meist von Apothekern hergestellt wurden, standen bei approbierten Ärzten wie landfahrenden Quacksalbern gleichermassen hoch im Kurs, galten sie doch als regelrechte Wundermittel für Leiden und Zipperlein von Hämorrhoiden bis Haarausfall. Das erklärt auch die etwas seltsam anmutende Empfehlung zeitgenössischer Mediziner, den Tag??– ausschliesslich im Interesse der Gesundheit versteht sich – anstatt mit einem schwer verdaulichen Frühstück doch lieber mit einem strammen Cocktail zu beginnen. Schliesslich galt Alkohol zu dieser Zeit als Universalheilmittel, der durch den Zusatz der Bitters doch zweifellos nur noch wirkungsvoller werden konnte. In der Theorie zumindest.
Nicht lange jedenfalls und Cocktails avancierten in den Metropolen entlang der amerikanischen Ostküste zu einem der beliebtesten alkoholischen Getränke – vor allem in den besseren Kreisen. Und die exportierten ihre Trinkgewohnheiten parallel zum anschwellenden Transatlantikverkehr schliesslich auch bald nach Good Old Europe. So schossen vor allem in London und Paris Ende des 19.?Jahrhunderts sogenannte American Bars, also Orte, an denen Cocktails amerikanischer Machart serviert wurden, wie Pilze aus dem Boden. Allerdings waren Cocktails auf Basis von gebranntem Alkohol und Bitters auch in der alten Welt keine Unbekannten. So erliess der Wirt der Londoner Axe?&?Gate Taverne laut einem Bericht der Morning Post and
Gazetteer vom März 1798 nach einem Lotteriegewinn seinen Stammgästen sämtliche offenen Rechnungen. Ein Kommentator des Blattes griff den Ball auf und erklärte vier Tage später in einem satirischen Beitrag, bei dieser Aktion seien auch einem bekannten Lokalpolitiker namens William Pitt die Schulden für den angeschriebenen «cock-tail» gestrichen worden – die bis dato erste nachweisbare Verwendung des Begriffs für ein Getränk.
Die Bar des Savoy
Die älteste noch erhaltene American Bar in Englands Hauptstadt befindet sich heute im legendären Savoy Hotel??– eine der beliebtesten und traditionsreichsten Nobelherbergen der Stadt, die nach einem kompletten Make-over seit 2010 wieder in neuem Glanz erstrahlt. Die Liste an Stars und Sternchen, die dieser Londoner Institution bereits die Ehre ge-geben haben, ist mittlerweile wohl länger als das örtliche Telefonbuch, und es wäre sicherlich einfacher aufzuzählen, welcher A-Promi hier noch keinen Cocktail geschlürft oder sein Haupt zur Ruhe gebettet hat. Doch Name-Dropping ist nur etwas für Parvenüs.
Hinter dem Tresen der American Bar standen seit ihrer Eröffnung im Jahre 1893 jedenfalls bereits einige Barkeeper-Legenden. Z.B. Ada «Coley» Coleman (1903?–?1924), die den sagen-umwobenen Hanky-Panky kreiert hat, einen Mix aus gleichen Teilen Gin und Wermut, garniert mit zwei Dashes Fernet Branca und ein wenig Orangenzeste. Oder ihr Nachfolger Harry Craddock (1925?–?1939). Aus seiner Feder stammt das Savoy Cocktail Book – bis heute eine Art Bibel der Cocktailkultur. Sein White Lady, ein erfrischender Blend aus Gin, Cointreau und Zitronensaft, war einer der Lieblingsdrinks des Komikerduos Stand Laurel und Oliver Hardy, die regelmässig im Savoy abzusteigen pflegten. Harry Viccars (1975–1981) dagegen kreierte Mitte der 70er-Jahre den Speedbird, einen ebenso opulenten wie spritzigen Drink aus Bacardi White Rum, Martini Dry und Rosso, Orangenlikör und Angostura Bitters für den Jungfernflug der Concorde.
Drink a Green Park
Aber auch der aktuelle Head Bartender, Erik Lorincz, Sieger der Diageo World Class Competition 2010 und Best International Bartender bei den Tales of The Cocktail 2011, hat schon einige Drinks kreiert, die das Zeug zum Klassiker haben. Unbedingt probieren sollten Cocktailfans z.B. seinen Green Park. Eines der Highlights auf dem brandneuen Cocktail-Menü der American Bar, liefert der Drink einen Frischekick auf Basis von Bombay Saphire Gin, Sellerie-Bitters, Zitronensaft, Zuckersirup, frischem Basilikum und Eiweiss. Lorincz’ bereits 2010 kreierter Cocktail El Malecón ist dagegen ein Old-School-Drink, über den Lorincz selbst sagt: «Ich habe einmal gelesen, dass die Quintessenz dessen, was es heisst Kubaner zu sein, darin liegt, die Unwägbarkeiten des Lebens zu akzeptieren. Dass wir geboren werden und wieder sterben müssen und versuchten sollten, dazwischen so viel Spass und Freude wie möglich zu haben. Mit dieser bemerkenswerten Haltung im Hinterkopf wollte ich einen Drink kreieren, der sowohl tagsüber wie am Abend Freude macht und der in der elegantesten Londoner Cocktailbar eine genauso gute Figur abgibt wie entlang des Malecón in Havanna, wo Musik, Gelächter und Tabakrauch in der Luft liegen. Mein Drink bietet deshalb die Frische der Limette, die reiche Frucht und die Nussaromen von gereiftem Port und Sherry, zu denen Peychaud´s Bitter einen Kontrapunkt setzen, während das Ganze von der Wärme des Bacardi Rum umhüllt wird.» Da behaupte noch mal einer, Cocktails-Mixen sei ein Handwerk ohne Tiefgang.
Try the Policeman’s Hook
Lorincz persönlicher Lieblingsdrink auf der neuen Karte aber ist der Policeman’s Hook – für ihn gleichzeitig Ausdruck unbändiger Kreativität, wie ultimatives Geschmackserlebnis. Die Zutaten: 45?ml Haig Club Grain Whisky gemixt mit 10?ml geröstetem Malzsirup, drei Tropfen Bitters und 25?ml eines hausgemachten Blends aus drei Sorten Wermut, verfeinert mit einem Auszug gerösteter Kombu-Algen und garniert mit essbarem Rentier-Moos. Nicht nur ein Fest für die Geschmacksknospen, sondern auch eine echte Augenweide!
«Unser breit gefächertes Menü ist ein idealer Einstieg für das besondere Cocktail-Erlebnis, denn unsere Gäste bekommen in der American Bar nicht nur perfekte Drinks serviert, sondern erfahren auch etwas über die Geschichten, Anekdoten und Innovationen, die sich hinter den Rezepten verbergen. Ausserdem gehört zu einem tollen Abend natürlich makelloser Service und last but not least trägt auch die Live-Musik zur speziellen Atmosphäre der American Bar bei», erzählt Lorincz.
Der Platz an der Bar
Apropos Live-Musik: An dem Flügel (oder genauer gesagt einem seiner Vorgänger), bis heute elegantes Centerpiece der American Bar, hat schon Frank Sinatra in die Tasten gehauen. Heute intoniert hier ein Barpianist sanfte Jazz-Melodien. Wir selbst treffen Lorincz bei unserem Besuch in London leider nur zwischen Tür und Angel, denn er ist gerade auf dem Sprung nach Hongkong – seine Expertise als einer der weltbesten Bartender machen ihn zum gefragten Gast und Experten bei Events rund um den Globus. Wer Eric Lorincz oder einem seiner smarten Kollegen beim Mixen der Drinks auf die Finger schauen will, wählt natürlich am besten einen Platz direkt an der Bar – davon gibt es allerdings nur vier, und da es zu den strikten Regeln des Hauses gehört, keine Reservierungen zu akzeptieren, muss man zumindest am Abend schon ein wenig Glück haben, will man einen dieser begehrten Hotspots ergattern. Spätestens dort begreift man dann, > dass das Geheimnis dieses magischen Ortes, dessen an Art-déco-Elemente angelehntes Interior-Design an die goldene Zeit des American Bartending erinnert, in den Details verborgen liegt. Erst sie machen einen ordinären Drink zum perfekten Cocktail. So zum Beispiel das eigens für die American Bar in grossen Blöcken aus destilliertem Wasser hergestellte, kristallklare Eis. Es wird erst kurz vor dem Mixen des Drinks von Hand mit scharfen Messern in grossen Stücken vom Block abgeschlagen. Der Vorteil: Das Ganze sieht nicht nur wesentlich stylischer aus, sondern das Eis schmilzt auch deutlich langsamer und verwässert den Drink nicht.
Übrigens verfügt das Savoy mit der nach der Renovierung neu eröffneten Beaufort Bar noch über ein weiteres Etablissement von Weltformat mit einer spektakulären Auswahl an Champagnern und einer breiten Range an eigens kreierten Signature Cocktails, die am Tisch des Gastes zubereitet werden. Z.B. der Blue Angel – eine Hommage an Marlene Dietrich (Gin, Extra Dry Martini, Cointreau, Botanical Cordial, Dom Pérignon und Zitronensorbet) oder Coco, der an Mode-Ikone Coco Chanel erinnert, die im Savoy ihre erste Modenschau veranstaltete. (Grey Goose Vodka, Lillet Blanc, Chateauneuf-du-Pape Reduktion, Moet&Chandon Vintage). Wer nach all den hochprozentigen Drinks Appetit bekommt, hat es zum Glück nicht weit: Der Eingang zum Savoy Grill, eines der bekanntesten und beliebtesten Restaurants der Stadt, liegt nur wenige Schritte von der Bar entfernt. Hier schwang in den 1890er-Jahren bereits Auguste Escoffier den Kochlöffel und erfand Klassiker wie Pfirsich Melba oder Birne Helene. U.a. gehörten Oscar Wilde und Sir Winston Churchill zu den Stammgästen?… ach ja, schlafen kann man im Savoy übrigens auch.